Potsdam-Mittelmark: Johannesbeerengeflüster
Die Fercher Obstkistenbühne feiert ihren 15. Geburtstag – ohne festes Datum
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Schwielowsee · Ferch - Mit einer Erbschaft und der Idee für eine Kleinkunstbühne fing 1991 alles an. Erstere brachte Ingrid Protze ein, letztere ihr Gatte Wolfgang, denn auch die gemeinsamen Lieder und Texte sollten im neuen Zuhause eine Heimstatt finden. Er entwarf ein Modell aus Streichholzschachteln. „VEB Zündwaren Riesa“ steht auf der einen, „GmbH“ auf der anderen. Und der Name für die Idee? „Holzpantinen-Musiktheater“ oder „Obstkistenbühne“ – jedes Wort ein Programm. Die auch durch ihre Lyrik bekannte Sängerin ist schließlich auf dem ererbten Anwesen großgeworden, und Holzpantinen spielten im Ort schon um 1750 eine wichtige Rolle. Man hatte eine Synthese gefunden: Die Klapper-Latschen sind in manches Konzept eingegangen, während die „Obstkiste“ („das was am ehesten verschwunden sein wird“) materielle Gestalt annahm.
Seit fünfzehn Jahren singen und spielen die einstigen Potsdamer nun auf eigenem Grund von Ferch, von sich, von der Landschaft um sie und dem, was sie für wertvoll, also bewahrenswert halten. Zu dieser „Erbschaft“ zählen zahlreiche Programme der musikalisch-literarischen Art, Bücher und CDs, Fernseh- und Radioauftritte, dazu die Besucher von fünfzehn Jahren, meist zufriedene oder staunende Gäste. Und viel Poesie.
Staunen zum Beispiel über das dramaturgische Geschick, kraft eines schnöden „Johannesbeerenjahresabschlussballgeflüsters“ vom kleinen Eigengarten über Einstein und Kristallnacht bis zur heutigen Wertewelt zu kommen. Hier musste man nichts Fernes bemühen, der Stoff lag zwischen Ferch und Berlin zu Füßen. Oder die Sache mit den Clogs: Wenn schon nicht im Namen der Bühne, so wird mit ihnen bei den Auftritten kräftig geklappert, gehört ja zum Handwerk. Zwei königliche „Holzpantinen-Edikte“ aus dem 18. Jahrhundert lieferten genügend Stoff für die Gegenwart.
So nah ist die Vergangenheit. Verändern, bewahren ja, aber nicht gleich die Welt, sondern die Welt um sich herum, und das mit Herz und Gefühl, mit Humor und Freundlichkeit, manchmal auch mit Trauer, so die Philosophie des stets harmonisch wirkenden Paares. Kleine, aber gute Brötchen backen, Heimatliebe im „märkischen Klangraum“ als Wert vermitteln, Bewahrenswertes als Kultur.
Wo sich 1992 der Schuppen für Ziege und Heuwagen in eine „Obstkisten-Bühne“ verwandelte, unter der Linde, wurde 1950 der Defa-Film „Die Jungen vom Kranichsee“ gedreht, Klein-Ingrid ist darin genauso zu sehen wie ein Großteil der Ihren. Unter dem ironischen Titel „Der Landfilm kommt“ stellte das freischaffende Paar die entsprechenden Ausschnitte zusammen mit anderen vor. Es soll ein Gaudi in Ferch gewesen sein, 1993. „Man kann ja nicht immer nur Geld zählen!“
Singend durften die beiden „Überlebens-Künstler“ den neuen Wiesensteg eröffnen, die Namensgebung der Geltower Schule wartet auf sie, sogar das Streichholzschachtel-Modell, inzwischen selbst Erbstück, ist noch da. Es geht also weiter. Lyrik über See und Abendnebel, die gefaxte Liebeserklärung, ein Song für traurige Herzen, das kommt, wie es will.
Als Großeltern sind ihnen Kinder in eigener Sache sehr wichtig. Als Aufgabe, nicht als „Marktlücke“, und siehe, welch eine Freude, wenn die Eltern sich spontan im Seifenblasenspiel üben, einfach mitmachen. Da ist alles live, sogar das Wetter muss in den Tagesauftritt. Live wie die Liebe zur Sache – und dann dies: „15 Jahre Obstkistenbühne“ ohne festen Jubiläumstermin! Klar, es findet 2007 statt. Das neue Programm ab 12. August erzählt den Rest der Geschichte.
Gerold Paul
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