Potsdam-Mittelmark: „Kartoffeln aufsetzen, der Dampfer ist da“
Interessanter Vortrag beim Heimatverein über historische Werderaner Verkehrsanbindungen
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Interessanter Vortrag beim Heimatverein über historische Werderaner Verkehrsanbindungen Von Wolfgang Post Werder. Mit „denkbar besten Verkehrsverbindungen nach Werder (Havel)“ wurde in den 20er Jahren für eine Fahrt in die Blütenstadt geworben. Der örtliche Fremdenverkehrsverein konnte auf stündliche Vorortzüge vom Potsdamer Bahnhof in Berlin verweisen, in 49 Minuten war man von der Hauptstadt aus vor Ort. Busanschlüsse von Potsdam, Dampferlinien und eine stattliche Zahl Wanderwege führten nach Werder. Dr. Baldur Martin, Chef des Werderschen Heimatvereins, zeigte in einem Vortrag im Hotel „Zur Insel“ auf, wie es zu den „vielen Wegen, die nach Werder führen“, kam. Chronistische Niederschriften von Schönemann und Lehmgrübner, in den von Balthasar Otto zusammengefassten Aufsätzen von August Haensch und Johann Adolph sowie eigene Recherchen fasste Martin in einem interessanten Vortrag zusammen. Die erste Verbindung zur Havelstadt existierte demnach auf dem Wasser. Die Fischer übernahmen „nebenbei“ Transporte jeglicher Art, ehe für den Lastentransport ein eigenes Gewerbe entstand. Ab 1893 hätte sich Werder auch Hafenstadt nennen können, denn der erste Hafen befand sich auf der Föhse im Zuge der heutigen Straße Am Mühlenberg, der bis zu Zeiten der Bäuerlichen Handelsgenossenschaft existierte. Von hier gingen auch die Obsttransporte nach Berlin. Wenn’s das Wetter hergab, wurden Segel gesetzt, sonst zogen Frauen die Kähne von Treidelwegen am Ufer aus. Allein darüber gebe es eine Vielzahl von Episoden, meint Martin. So kenterte bei einem Unwetter bei Hermannswerder eine Obstschute, wobei die Frauen aufgrund ihrer monströsen Röcke in Lebensgefahr gerieten. Bald erleichterten die Motorschiffe „Luise“ und „Wilhelm I.“ den Obsttransport in die Hauptstadt, wo die Werderschen nicht nur am gleichnamigen Markt, sondern auch in der Markthalle am Reichstagsufer ihre Ware anboten. Hier soll auch die wegen ihrer Redegewandtheit berühmte Obstzüchtersche Emilie Schultze einen Stand gehabt haben. Auf der anderen Seite der Föhse am Festland war der zweite Hafen, in dem noch lange Zeit Kohle der für die Firma Gartz umgeschlagen wurde. Die Höhengaststätten Wachtelburg, Bismarckhöhe und Friedrichshöhe hatten eigene Dampferanleger. Die Gäste kamen auch über den Wasserweg. Auf dem Turm der Bismarckhöhe beobachtete Besitzer Altenkirch die Schiffsbewegungen. Legte ein Dampfer an, rief er durch ein Rohr, das zur Küche führte, „Kartoffeln aufsetzen, der Dampfer ist da!“ Nur auf dem Wasserweg war lange Zeit die Inselstadt erreichbar. Über viele Generationen bestand die Fährverbindung von Wildpark-West. „Manche reden zwar von einer einstigen Brücke zum Gallin. Ich glaube nicht daran, bis der Beweis angetreten ist“, sagte Martin. Zu DDR-Zeiten wollte eine Tauchergruppe forschen, aber sie wollte dafür 30000 Mark, die niemand aufbrachte. Und heute? Interessiert an der Klärung wäre mindestens der Werderaner Heimatverein. Aber Geld steht auch heute nicht zur Verfügung. Zur Zeit des Großen Kurfürsten entstand die erste Holz-Inselbrücke, 1875 eine Steinbrücke. Doch die Fähre blieb die interessanteste Verbindung. 30000 Fahrgäste, darunter zwei Drittel „Fremde“, benutzten sie jährlich, weil „die Reichsstraße (heute B1) staubig, uneben, stellenweise morastig war, so dass Wagen bis zu den Achsen einsackten“, wie Chronisten schrieben. 1887 begann Bürgermeister Franz Dümichen mit dem großzügigen Straßenausbau in der Stadt, der 1910 im Wesentlichen abgeschlossen war. Für die schmale, kurvenreiche Potsdamer Straße könne der verdiente Bürgermeister nichts: Die Grundstücksbesitzer prozessierten, weil sie keinen Quadratmeter abgeben wollten. Ein wichtiger Verkehrsweg ist seit 1846 die Eisenbahn. Die Probefahrt von Potsdam nach Magdeburg mit 800 Fahrgästen ging indes nicht problemlos vonstatten. Als die Jupiter-Lok in Brandenburg (Havel) Kohle und Wasser nehmen wollte, rutschte sie von den Schienen in den Sand, weil kein Prellbock da war. Das gleiche Malheur passierte der Ersatzlok kurz vor Magdeburg. Die Rückfahrt gelang aber gut. Nach 5.15 Stunden kam der Zug in Potsdam an. In Werder entstand das Bahnhofsviertel mit Gewerbe, das sich immer mehr entwickelte. 1909 fertigten die Eisenbahner in Werder 44730 Frachtbriefe aus. Es wurden Industriewaren, Vieh und 23000 Personen von hier befördert. Die Fahrt von Werder bis Potsdam dauerte vor 70 Jahren 16 Minuten. Heute im Zeitalter der Hightech ist der Zug 11 Minuten unterwegs. „Werder hat bald 25000 Einwohner und u. a. mit dem RE eine stündliche Verbindung nach Ost und West, aber leider keine direkte Fernverbindung“, machte Martin aufmerksam. Die Fernzüge halten nicht in der Blütenstadt. Der einst geplante Zivilflugplatz auf den heutigen Havelauen wurde militärisch genutzt und kam so für eine normale Verkehrsanbindung von Werder aus der Luft nicht infrage. Die Zuhörer spendeten nicht nur Dr. Martin für seinen Vortrag Beifall, sondern auch Swen Gumz, der über den elektronischen Weg großformatige historische Bilder auf der Leinwand sichtbar machte.
Wolfgang Post
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