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KulTOUR: Kassandra-Zeit

Turmalin-Theater zeigt Christa Wolfs „Kassandra“ in der Fercher Kulturscheune

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Von Gerold Paul

Schwielowsee - Eine gebrochene, bittere Vibratostimme kündet von einem bitter zerbrochenen Menschen. Kassandra, Königstochter aus dem besiegten Troja, jetzt Kriegsbeute im Tross des siegreichen Agamemnon, hat ihr Leben nur als Passiv erlebt. Als sie sich dem Griechengott Apoll verweigerte, fügte er ihrer Sehergabe den Fluch hinzu, nie werde jemand ihr glauben. Sie kannte das Ende Trojas, Odyss’ Trick mit dem Pferd, sie sah, bevor sie es sah, den Tod ihrer Brüder Troilos und Paris voraus.

Ihr Vater, Priamos, ließ sie in finstere Kerker werfen, als sie sich seinen taktischen Plänen im Krieg widersetzte. Kurze Begegnungen mit Aenaeas, dem späteren Gründer Roms, zeigten ihr ein wenig Liebe, sonst kannte sie die nur als begehrende Gewalt, zuletzt vom rasenden Aias, am Altar der Athene. Nun wartet sie am Löwentor auf Klytämnestra, des Siegherrn Agamemnons Gattin, und sie weiß, und sieht, dass diese sie töten wird, wie jenen auch, durch Aigistos Hand.

In Ferchs „Kulturscheune“ spricht die sackbekleidete Kassandra zu keinem. Sie spricht in sich hinein, voller Hass und Zorn, Bitterkeit und Beben. Den Ton zur Sprache gibt ihr nicht eine der großen Griechen-Sagas, sondern die Schriftstellerin Christa Wolf mit ihrer gleichnamigen Erzählung, 1983 in einer Ost- und in einer Westfassung erschienen. Eine Melange aus weiblichem Aufschrei, Wille zum Welterhalt und Todesverzweiflung.

Sie war eben nicht zufrieden mit dem tradierten Passivum Frau, unzufrieden auch mit einer Welt, die Kassandra-Rufe nicht hört, nicht hören wollte. Heute ist wieder Kassandra-Zeit, deshalb kam die Aufführung des Turmalin-Theaters aus Weingarts (Bayern) am Freitag beim Publikum auch so gut an. Günter Bauer inszenierte vor einem tiefschwarzem Tuch, Cornelia Gutermann-Bauer spielte den gut achtzigminütigen Monolog atemberaubend dicht, mit (leider fast durchgängigem) Vibrato. Ihr Geschick, das ganze Schicksal ihres Volkes aus einem Mund, auf einer winzigen Bühne, in kurzer Zeit, hier muss Kunst am Werke gewesen sein.

Zwei Scheinwerfer leuchten den Quadratmeter Bühne spärlich aus, weiße und rote Pastelle spiegeln Kassandras hartes Gesicht. Wirr weht ihr Haar. Alles ist aufs Wort gestellt, auf die tausend Farben der Sprache. Kassandras Geschichtsprojektion ist einseitig: Die Achajer sind die Barbaren, die Mörder, Unrecht, was sie an Troja tun. Dies korrigiert die minimalistische Regie nicht. Sie lässt auch weg, was die Iliade von vielen Sagas unterscheidet, den Anteil der Olympier am vorsintflutlich-irdischen Geschehen, denn sie lenken die Wege der irdischen Helden.

Christa Wolf schrieb diesen Text als fortgesetzten Versuch weiblicher Selbstfindung, aber auch gegen die Krusten einer Macht, welche unter sich bleibt und überall Helfershelfer fand. Das arbeitet die Regie nicht sehr aus, überhaupt hätte mehr Struktur dieser Arbeit gutgetan. Aber Kassandras Worte wogen auch so reichlich schwer, in einer Zeit, darin kein Argument mehr hilft, und auch der Fluch wieder gilt, keinem Mahner zu glauben, der erneut Untergang wittert, wie einstens zu Troja.

Eine dunkle Geschichte, eine dunkle, in Sack und Asche getauchte Inszenierung, ein betroffenes Publikum: Kassandra-Zeit eben. Da kommt auch Christa Wolf noch einmal zu ihrem Recht. Schön, wenn das Kulturforum Schwielowsee bei allem bildenden und musischen Sinn das gute alte Theater nicht ganz vergaß.

Gerold Paul

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