KulTOUR: Kaum Interesse für öffentliche Sache
Anspruchsvolle Lesereihe des Kammerspiel-Trägervereins ging zu Ende
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Kleinmachnow - Die „res publica“ ist zwar schon ihrem Namen nach eine „öffentliche Sache“, aber auch in Kleinmachnow, dem ausgewiesenen Ort von so vielen Intellektuellen und Künstlern? Ina Schott und die anderen Mitstreiter des Trägervereins, welche an eine Weiterführung kultureller Vielfalt in den traditionsreichen „Kammerspielen“ glauben, wurden am Wochenende von der ausbleibenden Resonanz auf ihre dreitägigen Lesereihe „Aufbruch und Neuordnung“ recht herb enttäuscht.
Kamen zur freitäglichen Lesung von Käthe Reichelts „Windbriefen an den Herrn b.b“ noch 20 Besucher, so sah es am Sonnabend kärglicher aus. Man blieb weitgehend unter sich, als Landolf Scherzer seinen großen Text über das „Vergessene Bischofferode“ verlas, über die Befindlichkeit überflüssiger, verlassener Menschen abseits der Speckgürtel, wo der Kali-Abbau nur noch betrieben wird, um die Höhlen der Nachbargruben aufzufüllen, wo ein neu gebautes Gewerbegebiet verödet und Gewerkschafter darum kämpfen, dass auch die letzten Arbeitsstellen verschwinden. Frustrierend, diese Version von „Spiel mir das Lied vom Tod“. Was bleibt, reicht nicht mal für den Alltag. Ein Grusel-Stück aus heutiger Zeit. Aber auch eine „öffentliche Sache“? Nein, wer nur kann, der geht weg, der größere Rest verdirbt und versauert in Bischofferode.
„Sag Europa, daß ich da bin“ betitelte die Autorin Gabriele Goettle ihren Text „Die Ärmsten!“, eine kluge Zeitreportage (Lesung Susanne Simon) aus dem heutigen Berlin. Sie handelt von einem Regensburger Arbeitslosen, der ins soziale Abseits stürzte, von den Behörden im Westen der Metropole kurzerhand nach Lichtenberg abgeschoben wurde, um eigene Gelder zu sparen, dort mit seiner Gefährtin eine Rumpelkammer von 12 Quadratmeter ohne Fenster zugewiesen bekam, damit man seinen Fall abhaken konnte. Die Autorin erzählt, wie er sich selbst um Arbeit bemühte, indes „das Amt“ ihm bei der Beschaffung von Berufskleidung keinen Schritt entgegenkam. Dabei sieht heutige Armut anders als die von gestern aus: Einmal wöchentlich fährt in der Oranienburger ein Auto mit Kleidern für die Bedürftigen vor. Dann kann es leicht geschehen, dass einer der Ärmsten den Anzug eines Reichen nebst Seidenhemd erwischt.
Was tun mit solchem Text? fragte Ina Schott in die kleine Runde, ein so gutes Material bekommt man nicht jeden Tag zu hören. Ein lebhaftes Gespräch entwickelte sich. Man fragte, was der Sozialstaat leisten müsse, was der Einzelne tun kann, wem dieses Land denn gehöre und von wem „unser Schicksal“ eigentlich abhänge. Aufbruch und Neuordnung täten heute wirklich Not, aber alle machen immer nur mit.
Der nächste Text von dem Kleinmachnower Martin Schmahl, dessen Vater ein bekannter Geiger war, wählte passend zum bis dahin Gehörten eine kurze Abhandlung in eigener Sache. „Büchermacher“ handelt von den vermeintlichen Sachzwängen im Verlagswesen, wie also noch vor dem Erscheinen eines Buches im Geheimen festgelegt wird, welches ein „Bestseller“ wird. Die „Vertreter“ sagen es dann in der Buchhandlung weiter. Nichts reguliert hier der Markt.
Wie schon im Sommer so war auch diese Lesereihe eine sehr anregende Sache. Nur eben für die Kleinmachnower nicht. Schade, aber solch hochkarätige Angebote laden trotzdem zum Weitermachen ein, notfalls auch ohne die „Kammerspiele“. g.p.
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