
© Manfred Thomas
Von Henry Klix: Kein Auge zugedrückt
In Werder durfte dieses Jahr 53 Mal nachts gelärmt werden – Einwohnern wird die Partylaune zu viel, die Stadt sucht das Gespräch
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Werder (Havel) - Ein Samstag im Juli, 22 Uhr. Im Glindower Anglerheim wird seit Stunden gefeiert. Musik dröhnt über den Glindowsee, die Bässe wummern. Auf der Werderaner Seeseite wohnt Anja Spiegel. Der Partylärm will nicht aufhören, die Polizei räumt um 23 Uhr erst nach längerer Diskussion am Telefon ein, dass sie für den Fall zuständig sein könnte. Doch auch die Streifenbeamten können den Pegel nur kurzzeitig senken. „Bis 4 Uhr früh ist die Nachtruhe im Erholungsort Werder gestört“, erinnert sich Spiegel.
Die SPD-Fraktionärin im Stadtparlament setzt sich seit längerem für mehr Lärmschutz in Werder ein. „Die Stadt macht sich unglaubwürdig, wenn sie gegen den drohenen Fluglärm vom BBI kämpft, aber gegen den hausgemachten Lärm nichts unternimmt.“ Spiegel räumt ein, dass zu Feierlichkeiten wie dem Kirsch- und Ziegelfest bis 0 Uhr gefeiert werden darf. „Es geht aber nicht, dass Hinz und Kunz die Nachtruhe stören.“ Die SPD-Politikerin verweist auf das Landesimmissionsschutzgesetz: Von 22 bis 6 Uhr ist Ruhe zu halten. Kommunen können bei „einem öffentlichen oder überwiegenden besonderen privaten Interesse“ Ausnahmen gestatten. In Werder war das nach Rathausangaben dieses Jahr 53 Mal der Fall, fast 50 Prozent öfter als 2009.
Der Krach wird nicht nur Anja Spiegel zu viel. Das Ehepaar Müller wohnt mit dem fünfjährigen Sohn Hannes in nächster Nachbarschaft zur Bismarckhöhe. „Uns war klar, dass wir mit Einschränkungen leben müssen“, sagt Eckhard Müller. Aber wenn die Deutsche Bank bis 4 Uhr früh eine Firmenfeier veranstaltet und nach einem Tag Pause die Landesinvestitionsbank Party macht, sei das zu viel des Guten. Müller wundert sich, dass nach den Protesten beim Baumblütenfest dort um Punkt 10 Schluss ist, die Stadt zu anderen Anlässen aber so viel Kulanz zeigt.
Er fürchtet zudem nach der Veranstaltung „Bismarck rockt“, dass er eine neue „Disco-Location“ zum Nachbarn bekommt. „Ich habe nichts gegen den Lärm von einem Ausflugslokal, selbst wenn er mal bis Mitternacht geht.“ Doch als Bismarck rockte, bekam die Familie bis zum Morgen kein Auge zu. Planungsrechtlich sind hier zehn Großveranstaltungen pro Jahr zugelassen, laut Müller waren es mehr. Er betont, dass er ein Freund der Bismarckhöhe ist, vor Jahren zündelnde Jugendliche verjagt hat. „Wir wollen aber, dass die Stadt mit uns redet, sagt, was sie vorhat und nach Kompromissen sucht.“
Das sieht man im Rathaus inzwischen offenbar genauso. Zwölf schriftliche Beschwerden habe es in diesem Jahr wegen nächtlichen Partylärms gegeben, sagt die 1. Beigeordnete Manuela Saß, über mündliche Beschwerden schweigt die Statistik. Viermal habe das Ordnungsamt verwarnt, in fünf Fällen seien Bußgelder fällig geworden, auch für jene Sommerparty am Glindowsee. Saß betont, dass von den 53 Ausnahmen für Partylärm der „überwiegende Teil“ nur bis 0 Uhr erteilt wurde, 40 Dezibel – die Lautstärke von Vogelgezwitscher hinterm Fenster – durften in der Regel nicht überschritten werden. Zudem seien vier Anträge nicht bewilligt worden, drei für die Bismarckhöhe, „damit es dort bei zehn Großveranstaltungen bleibt“. Kleinere, wie Kinderkarneval und der Gesundheitstag des Kreises, zählten nicht mit. Im Januar will Saß Beschwerdeführer, Polizei und Ordnungsamt an einen Tisch holen, um die für 2011 angemeldeten Nachtevents durchzusprechen. Allerdings sei nur ein kleiner Teil so langfristig vorbereitet, wie das Dorffest in Phöben. Ein Großteil der Ausnahmen würde für runde Geburtstage oder Hochzeiten kurzfristig beantragt. „Da müssen wir abwägen, ob das private oder öffentliche Interesse überwiegt.“
Anfang November fand ein Vorbereitungstreffen für den „Runden Tisch Lärm“ statt. Auch Hans-Jürgen Ospald aus den Havelauen war dabei, viele Anwohner dort fühlen sich als Hauptbetroffene der neuen Partykultur. Wegen der ruhigen Lage sei man vor gut zwei Jahren ins Wohnquartier am Stadtrand gezogen. „Ich habe mich vorher extra beim Ordnungsamt erkundigt, ob wir hier Ruhe haben“, so Ospald. Ein knappes Jahr, nachdem das Haus fertig war, ging’s los: Von der ersten Party von „Hakke-Music“ hatten Ospalds im Internet erfahren. 61 Dezibel haben sie mit geliehenem Gerät am Fenster gemessen, das entspricht Nähmaschinenlärm. In diesem Jahr feierte Werders Party-Agentur zweimal „Open Air“ zwischen den ehemaligen Fliegerkasernen, die „Technostroika 2010“ dauerte drei Tage. Ospald hatte das Gefühl, dass die Musik gar nicht wieder aufhört.
Er und seine Frau Marina räumen ein, dass sich das Rathaus inzwischen „verbal und aktiv“ um Lösungen bemüht. Bei der „Technostroika 2010“ seien die Kasernen etwas abgedämmt gewesen, der Ostwind hat wohl auch geholfen. Ospalds haben das Dach nachisoliert und die Fenster verschlossen. „Allerdings war die Musik dafür im ganzen Stadtgebiet viel lauter zu hören“, so Marina Ospald, die Kasernen hätten „wie ein Resonanzkörper“ gewirkt.
Beigeordnete Saß greift das Beispiel auf, um zu zeigen, wie solche Partys künftig vielleicht trotzdem stattfinden könnten: „Der Veranstalter muss ein Lärmgutachten vorlegen und Profis hinzuziehen, um die Beeinträchtigungen so gering wie möglich zu halten.“ Durch langfristige Gespräche bleibe dafür mehr Zeit. Dass es mit dem „Runden Tisch“ ein „Happy End“ gibt, glaubt sie nicht. Saß hofft auf mehr Verständnis zwischen Feiernden und Lärmbetroffenen. Sie findet es am besten, wenn sich die Nachbarschaft untereinander informiert, einigt und vielleicht sogar auf ein Gläschen einlädt. Zum Fluglärm sieht sie aber keinen Zusammenhang.
Ganz verzichten möchte das Rathaus nicht auf die gute Tanzlaune. Bei der 80er Jahre Party von Hakke im vorigen Jahr war Saß selbst dabei. „Ich fand es toll, was die Jungs auf die Beine gestellt haben.“
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