Potsdam-Mittelmark: „Kein einheitliches Bild“
Superintendent Joachim Zehner über die Haltung evangelischer Potsdamer Gemeinden während der NS-Zeit – und warum ihm der Wiederaufbau der Garnisonkirche so wichtig ist
Stand:
Herr Dr. Zehner, Sie haben kürzlich gemeinsam mit anderen die Ausstellung „Bekennt euch!“ in der Französischen Kirche eröffnet. Die Schau thematisiert das Verhältnis von Kirche und NS-Staat. Wozu hatten sich Potsdamer evangelische Gemeinden in der NS-Zeit bekannt?
Da gibt es kein einheitliches Bild. In den protestantischen Kirchengemeinden Potsdams herrschten unterschiedliche Strömungen. Die Gemeinde der Erlöserkirche zum Beispiel hielt deutlich zur Bekennenden Kirche. Man hat sich dort nicht vom nationalsozialistischen Staat vereinnahmen lassen wollen. Dasselbe gilt auch für die Garnisonkirche, in der ebenfalls viele Gemeindeglieder zur Bekennenden Kirche standen. Anders hingegen die Friedenskirche...
...in der schon im Februar 1933 mindestens eine Hakenkreuzfahne bei einer Trauerfeier zu sehen war, wie ein Foto belegt.
Ja, die dortige Gemeinde stand mehrheitlich auf der Seite der Deutschen Christen, also jener Strömung innerhalb der evangelischen Kirche, die das nationalsozialistische Gedankengut in den Kanon ihrer Glaubensgrundlagen aufgenommen hatte. Auch an der Nikolaikirche hielt man überwiegend zu den Deutschen Christen. Die Geschwister von der Bekennenden Kirche nannten die Friedenskirche übrigens „Rumpelkammer“, weil dort ein Pfarrer Rump tätig war. Auch die Nikolaikirche hatte bald ihren Spitznamen weg: Man nannte sie Onkel-Thoms-Hütte – wegen des Superintendenten Thom von den Deutschen Christen, der dort amtierte. Erinnern möchte ich aber unbedingt auch noch an eine Frau, die für die Bekennende Kirche in Potsdam von gemeindeübergreifender Bedeutung war.
Ja, bitte!
Anni von Gottberg hieß sie. Eine sehr engagierte Christin, nach der zu Recht eine Straße im Kirchsteigfeld benannt worden ist. Sie hat mit dafür gesorgt, dass die Thesen der Barmer Theologischen Erklärung in Potsdam Verbreitung fanden. An dem erhalten gebliebenen Briefwechsel mit dem späteren Bischof Albrecht Schönherr kann man auch heute noch gut verfolgen, wie kraftvoll diese Frau innerhalb der Bekennenden Kirche gewirkt hat.
Bei der Eröffnung der Ausstellung „Bekennt euch!“ sagten Sie, jeder Besucher eines evangelischen Gottesdienstes möge im Gesangbuch auch mal die Nummer 810 aufschlagen. Dort ist die Barmer Erklärung abgedruckt. Was ist das Aktuelle an diesem 80 Jahre alten Dokument?
Dieser kurze und prägnante Text mit seiner Zentrierung auf Christus ist für uns heute noch zukunftsweisend. Er vermittelt uns, jeder totalitären Herrschaft gegenüber kritisch zu sein und im Rahmen des uns Möglichen auch gegen solche Herrschaft zu handeln. Die Barmer Erklärung verwirft ausdrücklich die Vorstellung, die Kirche könne sich fremde, mit Herrschaftsbefugnissen ausgestattete Führer geben lassen.
Das klingt nach einem künftigen Thema für die Arbeit an der Garnisonkirche, für deren Wiederaufbau Sie leidenschaftlich streiten.
Viel Bildungs- und Gedenkarbeit geschieht ja schon im Rahmen der bisherigen Aktivitäten in der Garnisonkirchenkapelle, wie kürzlich die Veranstaltung zum Gedenken an die Bücherverbrennung. Ich habe jetzt zum Beispiel jemanden eingeladen, der Generalkonsul in Afghanistan ist, damit er uns über die dortige Situation berichtet. Es bedarf so eines Ortes bei uns, wo diese Themen auch zur Sprache kommen können. Und für mich selber – ich habe meine Habilitationsschrift zu der Frage geschrieben, ob es Vergebung unter Völkern geben könne – verbindet sich der Wiederaufbau der Garnisonkirche mit folgender Botschaft: Umkehr und Versöhnung sind möglich in Europa.
Doch es gibt beträchtlichen Widerstand gegen den Aufbau der Garnisonkirche. Auch ist die Rolle der Potsdamer Christen in der NS-Zeit nur teilweise erforscht. Eine genaue Betrachtung der Vergangenheit scheint daher geboten zu sein.
In unserem Kirchenkreis hat sich eine Arbeitsgruppe zusammengefunden, in der die Geschichte der Potsdamer Christen im Nationalsozialismus näher erforscht werden soll. Der Impuls für diese Arbeitsgruppe kam aus dem Beschluss der Kreissynode zum Wiederaufbau der Garnisonkirche. Voraussichtlich noch im Juni wird der Kreiskirchenrat über einen Antrag entscheiden, diese Arbeit mit Mitteln aus dem kreiskirchlichen Projektfonds zu fördern. Wann die Gruppe konkrete Ergebnisse vorlegen wird, weiß ich noch nicht. Auf jeden Fall soll das dann transparent in der Öffentlichkeit geschehen.
Es gab vor längerer Zeit einen Aufruf an die Bevölkerung, ihnen für diese Aufarbeitung Zeitzeugnisse, zum Beispiel alte Briefe, leihweise zur Verfügung zu stellen. Haben Sie da einiges bekommen?
Der Widerhall war bislang leider gering. Wir müssen das wohl noch einmal etwas lauter artikulieren.
Die Fragen stellt Holger Catenhusen
Joachim Zehner, 56, seit 2008 Superintendent des Kirchenkreises Potsdam. Der in Darmstadt geborene promovierte Theologe war von 1999 bis 2008 Pfarrer in Frankfurt an der Oder
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