Aus dem GERICHTSSAAL: Kein Zufallstreffer
Sehkraft nach Schlag mit Schlüsselbund gemindert
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Werder (Havel) – Das nächste Baumblütenfest steht bereits vor der Tür. Im Amtsgericht wurde jetzt indes noch eine gefährliche Körperverletzung bei der Baumblüte 2007 verhandelt. Den 28. April dieses Jahres wird Tim T.* wohl nie vergessen. Seit jenem Tag besitzt der Elektroniker-Lehrling auf dem linken Auge nur noch 70 Prozent Sehkraft, weil ihm sein Kontrahent Sönke S.* ein Schlüsselbund mit voller Wucht ins Gesicht schleuderte. Tim T. musste fortan eine Brille tragen. Und es besteht die Gefahr, dass sich das Augenlicht des Glindowers weiter verschlechtert. Obwohl die Verhandlung gegen den Werderaner Sönke S. vor dem Jugendgericht stattfand, wurde er nach Erwachsenenstrafrecht zu sechs Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt. Außerdem muss der Azubi eine Geldbuße von 200 Euro an die Volkssolidarität zahlen.
Nicht Obstwein im Überfluss war Ausgangspunkt der Straftat, sondern ein lange schwelender Groll zwischen der Gruppe um Sönke S. und der Familie des späteren Opfers. An den konkreten Anlass kann sich keiner mehr erinnern. Wann immer Tim T. und sein Bruder Thomas auf Sönke S. und seine Freunde trafen, wurden verbale „Nettigkeiten“ oder unmissverständliche Gesten ausgetauscht. „Ich habe meinen Jungs geraten, sich endlich mit Sönke S. und seiner Truppe zu vertragen. Wenn das nicht funktioniert, sollten sie ihnen wenigstens weiträumig aus dem Weg gehen“, erzählte der Vater von Tim T. im Zeugenstand. Das klappte beim Baumblütenfest offenbar nicht. Am Nachmittag soll Sönke S. per Handzeichen angedeutet haben, er wolle Tim T. die Kehle durchschneiden. Vater T. stellte den Angeklagten zur Rede, seine Söhne mischten sich ein. „Die gingen alle auf mich los“, berichtete Sönke S. (21). Festbesucher hätten die Kampfhähne getrennt, vorübergehend sei Ruhe eingekehrt. Gegen 22 Uhr, auf dem Heimweg, flammte der Zwist erneut auf. Ein Kumpel des Angeklagten soll Vater T. angerempelt, ihn danach gefragt haben, was die Aktion am Nachmittag sollte. Zur selben Zeit seien Tim und Thomas T. erneut aggressiv auf ihn zugestürmt, unterstützt von ihrer Mutter. „Da habe ich in einer Kurzschlussreaktion mein Schlüsselbund aus der Tasche gezogen und es am Band vor mir hergeschwenkt“, erzählte Sönke S. „Ich wollte Tim nicht treffen. Ich wollte mich nur verteidigen.“ Die Folgen des Schlages waren verheerend. Tim T. erlitt sechs tiefe Schnittwunden um das Auge herum, seine Pupille wurde deformiert, der Sehnerv dauerhaft geschädigt.
„Der Angeklagte wusste, dass er gleich die Früchte seiner Provokation ernten würde“, führte Oberstaatsanwalt Peter Steiniger aus. „Das war kein ungewollter Zufallstreffer. Er handelte auch nicht in Notwehr.“ Durch das Herumschleudern des schweren Schlüsselbundes am Band habe Sönke S. schwere und schwerste Verletzungen von Tim T. in Kauf genommen. „Der Schlag war gewollt“, war sich auch Jugendrichterin Rita Franke sicher. „Provokationen, Missverständnisse und Gerüchte gipfelten schließlich in der Tat, die wir heute verhandelt haben.“ (*Namen geändert.) Hoga
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