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Zum Posten gehörte eine Fünf-Zimmer-Wohnung mit Telefon im alten Inspektor-Haus  zu DDR-Zeiten ein Lotto-Gewinn, sagt Gerhard Petzoltz.

© pek

Von Peter Könnicke: Keine Angst vor dem Sterben

Gerhard Petzholtz hat fast drei Jahrzehnte auf dem Südwestkirchhof gearbeitet – jetzt ist Schluss

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Stahnsdorf - Zum 30. Todestag von Elvis hat er was Verrücktes gemacht. Er ist nach Memphis geflogen, „zur Brutstätte des Blues“, wie es Gerhard Petzholtz nennt. Dort hat er sich alles angeschaut – eine Whisky-Destillerie, das Grab von Elvis, – und in einem „Super-Hotel“ gewohnt. „War gar nicht so teuer“, erinnert er sich.

Gerhard Petzholtz hat fast sein halbes Leben mit Gräbern verbracht. 26 Jahre arbeitete er als Gärtner auf dem Stahnsdorfer Südwestkirchhof, diese Woche hat er sich in den Ruhestand verabschiedet. Die Stelle war 1984 in der damaligen Kirchenzeitung ausgeschrieben, seine Bewerbung war so etwas wie eine Heimkehr. Aufgewachsen ist Petzholtz in Werder (Havel), von dort ging er nach Frankfurt (Oder), wo er in der Diakonie arbeitete. Dass er in Stahnsdorf genommen wurde, war „wie ein Lottogewinn“, denn zu dem Posten gehörte eine Fünf-Zimmer-Wohnung im alten Inspektor-Haus des Südwestkirchhofes. „Mit Telefon!“, schwärmt Petzholtz noch heute.

Er hatte Agraringenieur gelernt. „Ich war also Obst- und Gemüsebauer. Von Blumen hatte ich keine Ahnung“, beichtet er. Aber das habe er nicht so laut gesagt, sonst wäre er vielleicht nicht Abteilungsleiter der friedhofseigenen Baumschule geworden. „Damals“, erzählt er, „hatte der Friedhofsgärtner noch was zu bedeuten.“ Als er anfing, waren sie 35 Mitarbeiter. „Da arbeiteten hier viele ältere Damen von den Nachbardörfern. Richtige Landweiber.“ Der Südwestkirchhof war im Auftrag der Berliner Stadtsynode angelegt worden, nach dem Mauerbau gab es nur noch wenige Bestattungen. „Die Westberliner haben ihre Gräber pflegen lassen für 500 D-Mark im Jahr“, weiß Petzholtz. „Der Südwestkirchhof war ein Devisenbeschaffer, aber wir haben davon nichts gesehen. Das ging eins zu eins zur Staatsbank.“ Den „meisten Bammel“ habe er in den ersten Jahren immer vor Totensonntag gehabt. „Das war richtig viel Arbeit und ich war nicht so geschickt, Blumengestecke und Kränze zu binden.“

Nach der Wende wurde der Südwestkirchhof wieder zur viel genutzten Begräbnisstätte. Er hat nicht gezählt, wie viele Gräber er in den Jahren angelegt, alte Grabstätten er umgegraben, Blumen gepflanzt, welche Mengen an Unkraut er gejätet oder wie viel Kompostkarren er geschoben hat. Auch Grüfte hat er ausgehoben. „Aber ich war kein Totengräber“, sagt er. Etwa 20 000 Bestattungen, schätzt er, hat es in den vergangenen 20 Jahren gegeben.

Er habe keine Angst vor dem Tod, obwohl er immer dicht dran war und „er näher rückt, wenn man älter wird“. Bei Trauerfeiern habe er sich oft die Reden angehört und Biografien von Menschen kennengelernt, die es nicht mehr gibt. „Kinderbeerdigungen gingen mir immer unter die Haut. Oder wenn sich junge Mädchen aus Liebeskummer das Leben genommen haben.“ Einmal habe er für einen jungen Mann das Grab ausgehoben. „Da stand ich drin und dachte: Das könnte für meinen eigenen Sohn sein. Das war merkwürdig.“ Dann beschreibt er den Tod: „Das ist das Leben.“

Petzholtz hat ein unbelastetes Verhältnis zu seiner Arbeit: „Gruft ausheben, Sarg tragen, einen schönen schwarzen Anzug anhaben, Gräber gießen, Blumen pflanzen, Hecken anlegen, Wege freischneiden, auch mal ’ne Fichte weghauen.“ Das sei viel Abwechslung gewesen. „A und O ist, dass die Leute sterben.“

Die Bedeutung des Südwestkirchhofes als Prominentenfriedhof war Petzholtz zunächst nicht bewusst. „Für die Geschichte hatte ich mich gar nicht so interessiert“, sagt er. Dann hat er beobachtet, wie am Todestag des Sozialdemokraten Rudolf Breitscheid am frühen Morgen „erst die SED aus dem Kreml in Potsdam mit einem Lada vorfuhr und danach ein SPD-Mann aus Westberlin kam“. Und am Volkstrauertag „kamen Diplomaten in riesigen Schlitten“. Da sei ihm klar geworden, „was für ein gewaltiger Friedhof das ist“.

Inzwischen führt Petzholtz selbst als profunder Kenner über die weitläufige Friedhofsanlage und erzählt über die Grabstätten und die Geschichte von Zille, Humpderinck oder Langenscheidt. „Hier möchte ich begraben sein “, hat er einen Wegweiser über den Südwestkirchhof überschrieben. „Ich hab meine Grabstelle schon“, sagt er.

Doch jetzt zählen erstmal andere Dinge. „Ich hab fünf Enkel.“ Als Kind habe er Klavier gespielt, er könne Noten lesen – vielleicht macht er das nochmal. Kürzlich wollte er an der Volkshochschule Russisch lernen, aber da es zu wenig Interessenten gab, fand der Kurs nicht statt. Vielleicht Englisch, denn als er in Memphis war, „haben die alles in Amerikanisch erzählt“ – und er habe nichts verstanden. „Vielleicht“, überlegt Gerhard Petzholtz, „mache ich noch mal was ganz Verrücktes und fahre nach New Orleans. Da ist der Rock’n’Roll geboren.“

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