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Dolmetscher des Friedhofs. Olaf Ihlefeldt führt die Geschäfte auf dem Südwestkirchhof und macht mit Führungen Werbung für den verwunschenen Totenacker.

© Tobias Reichelt

Potsdam-Mittelmark: Keine Angst vor dem Tod

25 Jahre Totenacker: Olaf Ihlefeldt, Deutschlands einst jüngster Friedhofsverwalter, feiert Jubiläum

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Stahnsdorf - Es hat alles gepasst: Die Lichtung im Sonnenschein, der Blick auf die Kapelle. Die ältere Dame suchte mit dem Friedhofsverwalter nach einem passenden Platz für die ewige Ruhe – mit einem mulmigen Gefühl im Bauch. „Hinterher war sie glücklich“, sagt Olaf Ihlefeldt. Glücklich und befreit vor der Angst vor dem eigenen Tod. Solche Szenen gehören zum Arbeitsalltag des Friedhofsverwalters. Seit 25 Jahren ist er in dieser Funktion auf dem Südwestkirchhof tätig.

Olaf Ihlefeldt hat keine Angst vor dem Tod. „Wir werden sterben, ich sehe es jeden Tag.“ Sterben gehört zu seinem täglichen Geschäft. „Manche wissen, in den nächsten Wochen wird es passieren“, sagt Ihlefeldt – dann geht er mit ihnen über seinen Friedhof. „Wenn die Menschen schließlich strahlend vor dem eigenen Grab stehen, ist auch nach 25 Jahren noch Gänsehaut programmiert.“

Im Alter von 46 Jahren feiert Deutschlands einst jüngster Friedhofsverwalter sein Dienstjubiläum. Als Gärtnermeister begann er am 1. Januar 1989 seine Arbeit für die Evangelische Kirche auf dem Südwestkirchhof. Ein Jahr später wurde er zum kommissarischen Verwalter berufen. Seit 1991 gilt Ihlefeldt offiziell als Chef des mit einer Gesamtfläche von 206 Hektar zweitgrößten Friedhofs in Deutschland.

„25 Jahre, das ist eine stattliche Zeit“, sagt Ihlefeldt. Er habe sich erschrocken, als er zur Übergabe einer Jubiläumsurkunde eingeladen wurde. Eigentlich sei es eine Floskel, aber die Zeit bei den Toten sei wie im Fluge vergangen – besonders am Anfang.

Ein Jahr lang schuftete der Stahnsdorfer mit den Friedhofsgärtnern, hob Gräber aus, stieß auf alte Knochen, hackte Holz und trug Särge. „Ich habe mich wie in einer anderen Welt gefühlt.“ Gewöhnungsbedürftig sei das manchmal gewesen. Besonders die Sache mit den Knochen. Aber Job ist Job.

Anders als seine Familie, die im Stahnsdorfer Ortsteil Güterfelde seit Jahrzehnten ein Fernsehgeschäft führt, hatte sich Ihlefeldt nach der Schule für die Gärtnerausbildung entschlossen. Er lernte beim Botanischen Garten in Potsdam Sanssouci, legte seine Meisterprüfung ab. „Ich habe dann nach Perspektiven gesucht und bin auf dem Friedhof gelandet“, sagt Ihelfeldt. Er lächelt. Den Humor, seine freundliche Art und auch sein jugendhaftes Aussehen hat sich der Hobby-Segler bewahrt.

„Viele steigen erst in die Friedhofsverwaltung ein, wenn sie Anfang 40 sind.“ Ihlefeldt war 22. „Ich hatte mir damals noch keine Gedanken zu Tod und Trauer gemacht.“ Das musste er lernen – „und auch das ganze Programm Bürokratie“. Verwaltung, Haushalt, Buchhaltung.

Was anstrengend war, hatte aber auch seinen Vorteil: Bei einem Lehrgang lernte er seine spätere Frau Gabriele kennen, eine Friedhofsromanze. Seit Jahren lebt Ihlefeldt mit Frau und zehnjähriger Tochter in der Friedhofsinspektorenwohnung auf dem Südwestkirchhof. „Ups, ich habe jetzt einen älteren Herren erwartet“, das bekomme er heute noch von Besuchern im alten Verwaltungsgebäude zu hören.

„Ich bin ein Dolmetscher des Friedhofs“, sagt Ihlefeldt – und dessen Einsatz war nötig: Nach dem Fall der Mauer ging die Zahl der Bestattungen in Stahnsdorf drastisch zurück. Nur noch 80 neue Gräber wurden im Jahr ausgehoben. Denkmäler, Gruften und Mausoleen bröckelten. Die Kirche begann, Millionen zu investieren. „Es war nicht nur für mich, sondern auch für den Friedhof ein Neuanfang.“

Mit Führungen für Jung und Alt machte Ihlefeldt Werbung. Zeitungen berichteten, Touristen kamen. Stahnsdorfs verwunschener Friedhof wurde wachgeküsst, eine Gratwanderung zwischen Bestattungsort und lebendigem Friedhof. Heute zählt der Kirchhof an der einstigen Friedhofsbahntrasse nach Berlin-Wannsee etwa 800 bis 1000 Bestattungen im Jahr. Der Einladung zum Neujahrsspaziergang folgten zuletzt 120 Gäste. Sie spazierten vorbei an der Stabholzkapelle und den Gräbern von Heinrich Zille, Lovis Corinth oder Otto Graf Lambsdorff.

Vor dem Tod sind alle gleich, sagt Ihlefeldt. „Du bist heute noch hier, erfüllst deine Aufgabe, aber morgen kann es vorbei sein.“ Schon oft wurde er von Freunden oder Bekannten gefragt, ob er nicht noch woanders Arbeit will. „Ich hatte bislang keine Zeit, darüber nachzudenken.“ Die nächsten Bestattungen stehen an, Jubiläen, Sanierungen. „Nicht jeder Dorffriedhof ist so spannend wie der Südwestkirchhof“, sagt Ihlefeldt.

Seine letzte Ruhestätte hat sich der Friedhofschef vor ein paar Jahren ausgesucht und die Patenschaft für eine alte Grabstätte mit Kreuz, Totentuch und Schmetterling – einst Sinnbild für die Transformation der Seele – auf dem Kirchhof ausgesucht. Der Tod kommt, wenn er kommt, sagt Ihlefeldt. Im Leben gelte es, rechtzeitig ein paar Dinge zu klären.

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