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Potsdam-Mittelmark: Kinder im Teufelskreis

70 Eltern bei Vortrag zu sexueller Gewalt im Netz

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Stahnsdorf - Beinahe kuschelig klingt die deutsche Übersetzung für Cybergrooming: Internetstreicheln. Was sich jedoch dahinter verbirgt und wie gefährlich Cybergrooming für Kinder werden kann, erfuhren rund 70 Eltern, die am Mittwochabend in die Stahnsdorfer Zille-Schule kamen. Dort klärte der Brandenburger Kriminologe Thomas-Gabriel Rüdiger über Risiken für Kinder im Internet auf. Der Experte vom Institut für Polizeiwissenschaft will Eltern fit machen, sich und ihre Kinder vor diesen Bedrohungen zu schützen.

Wurde in der Medienerziehung der Fokus vor einigen Jahren vor allem auf Cybermobbing gerichtet, nimmt nun die „sexuelle Gewalt gegen Kinder im Internet“ dramatisch zu, wie Rüdiger in seinem Vortrag an Beispielen schilderte. Jedes zweite Kind soll im Netz schon belästigt worden sein. Dass die Täter dabei Onlinespiele nutzen, überraschte viele Eltern. Als verdächtig galten den meisten bisher Chatrooms, in denen Pädophile Kontakt zu Minderjährigen suchen.

Aber ein Spiel ohne Altersbeschränkung, mit kindgerechter Optik, netten Figuren und kostenlos weckt selten Argwohn. Da die Anmeldung einfach ist und die Daten nicht überprüft werden, steht das Tor der Spielewelt auch potenziellen Straftätern offen, die sich als Gleichaltrige ausgeben und als guter Freund das Vertrauen des Kindes erschleichen würden, berichtete Thomas Rüdiger. Später würden sie nach Namen und Adresse fragen.

Neben diesem „Gute-Freund-Typen“ nutzen diese Spiele auch Täter, die der Kriminologe als „Erpresser-Typ“ einstuft. Schon nach kurzer Zeit locken sie mit virtueller Spielwährung, beispielsweise Habbo-Talern beim Onlinespiel „Habbo“, wenn sie ihnen dafür „ein bisschen was auf der Webcam zeigen“. Haben die Täter damit Erfolg, fordern sie mehr und drohen, falls sich das Kind weigert, das erhaltene Material zu veröffentlichen oder den Eltern zu zeigen. Weil Kinder dem Teufelskreis oftmals nicht aus eigener Kraft entrinnen können, enden solche Kontakte oft mit einem Missbrauch in der realen Welt, zählte der Kriminologe auch Fälle aus Deutschland auf. Manches Opfer würde keinen anderen Weg mehr sehen, als sich umzubringen.

Dass die Täter heute weltweit einen direkten Draht ins Kinderzimmer haben, ist für viele Eltern kaum vorstellbar. Schon 2004 hat der Gesetzgeber auf die Gefahr reagiert und so gilt bereits die Anbahnungsphase als Straftatbestand, wenn Kinder beispielsweise zu sexuellen Handlungen vor einer Webcam animiert werden. Auch das Zeigen pornografischen Materials sowie sexuelle Handlungen vor einem Kind sind strafbar.

Laut Rüdiger hat Deutschland im Kinderschutz dennoch Nachholbedarf. Vorbildlich hätten die Niederlande auf die neuen Herausforderungen reagiert. So sei es beim Onlinespiel „Habbo“ möglich, einen virtuellen Polizeibeamten aufzusuchen, um sich Rat zu holen oder Anzeige zu erstatten. Die Idee sei, dass Kinder im vertrauten Spielumfeld eher bereit sind, sich an einen Polizisten zu wenden. Das Angebot wird angenommen, vor der Polizeiwache in „Habbo“ steht eine Warteschlange. Kirsten Graulich

Kirsten Graulich

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