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Potsdam-Mittelmark: Kindheitstraum in Zinn gegossen

Zinngießer Lutz Werner erzählt von Brandblasen, Dampfwolken und dem Engelskarussell

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Stahnsdorf - Die Werkstatt von Lutz Werner ist übersät mit silbernen Spänen. Sie liegen auf dem Boden, hinter dem Ofen und sogar in den Schubladen. „Ich brauche nur einmal hier an der Drehlade ein Gefäß zu bearbeiten, schon ist alles voller Späne“, sagt der 66-Jährige. Seine Finger sind schwarz vom feinen Staub.

Lutz Werner ist Zinngießer, einer der letzten Meister seiner Zunft. Mit seiner Frau betreibt er in Stahnsdorf eine Werkstatt, die er am vergangenen Wochenende – wie immer in der Vorweihnachtszeit – für Besucher öffnete. Die Holzdielen knarzen beim Eintritt in die selbst gezimmerte Finnenhütte. Seit gut 30 Jahren steht sie in Werners Garten. Mitten in der Hütte wärmt ein alter Kohleofen, auf der Werkbank stapeln sich Kisten mit Ornamenten, Gussformen und Werkzeugen, eine lederne Schürze hängt an der Poliermaschine. „Ich möchte Zinn so gießen, wie das auch vor 300 Jahren gemacht wurde, ohne großen technischen Aufwand“, erklärt Werner.

Damals stellten die Zinngießer Teller, Schalen und Kannen her. Den Beruf gab es in jeder Stadt. Nachdem Emaille und Porzellan die Zinnteller ersetzten, geriet das Handwerk zunehmend in Vergessenheit. Rund 30 Betriebe gibt es noch in Deutschland, in den neuen Bundesländern kann man sie an einer Hand abzählen. Heute fertigen die Zinngießer weniger Gebrauchsartikel, ehr Schmuck, Anhänger, Figuren und Zierwerk. In Werners Ausstellung sind Kerzenhalter, Leuchter und Trinkglasanhänger zu sehen, sein Meisterstück ist in diesem Jahr ein Engelskarussell. Vier Kerzen treiben ein Flügelblatt an, die Engel drehen sich im Kreis, ein helles Glockenläuten erfüllt den Raum.

Zwei Monate hat Werner gebraucht, um das Karussell zu bauen. Skizzen hat er zuerst gemacht, dann einen Entwurf, anschließend die Gussformen aus Eisen und Silikon. 400 Grad hat das flüssige Zinn beim Gießen. Es zischt und dampft, wenn der Zinngießermeister die Stücke im Wasser kühlt. „Brandblasen sind alltäglich“, sagt Werner. Anschließend hat er die Teile geschliffen und poliert, mit einem Löteisen zusammengesetzt und die Lötstellen gesäubert. „Die Werkzeuge, die ein Zinngießer braucht, muss er selbst fertigen, es gibt sie nirgends zu kaufen", sagt er. Für jedes Stück braucht Werner eine neue Form. „Das sind hunderte von Formen“, betont er.

Mit dem Engelskarussell will der Meister die einfachen Blechspielzeuge aus seiner Kindheit wieder aufleben lassen. Für ihn ist das glänzende Karussell nicht nur Spielwerk, sondern auch Ausdruck einer Lebenseinstellung. „Wer kommt schon dazu, mit seinen Kindern heute ein so altes Karussell in Gang zu setzten?“ fragt er. „Die Menschen machen es sich manchmal viel zu einfach, sie konsumieren, ohne darüber nachzudenken, was sie wirklich brauchen.“ Er nimmt einen Blumendraht und biegt ihn zu einer Art Häuschen. „So ein Kerzen-Karussell war früher ein beliebtes Spielzeug, das der Großvater für seine Enkelkinder gebastelt hat. Hier noch zwei Kronkorken als Kerzenhalter und zwei Glöckchen, schon ist es fertig“, sagt er und hängt das Drahtgerüst an eine Leine in der Werkstatt.

Metall hat Werner schon als Kind fasziniert. Dennoch lernte er nach der Schulzeit Rundfunkmechaniker, studierte und arbeitete als Ingenieur im Geräte-Reglerwerk Teltow. 1971entschloss er, Zinngießer zu werden. Einmal im Monat ist Werner dafür nach Leipzig gefahren, hat sich in der Deutschen Bücherei Literatur besorgt und dem Leipziger Zinngießer Harro Messer bei der Arbeit zugesehen. Seine ersten Werke brachte Werner mit und ließ sie begutachten. „Das Wissen wurde traditionell vom Meister an den Lehrjungen weiter gegeben, schriftliche Überlieferungen gibt es nur über die Gegenstände, nicht aber über deren Herstellungsprozess“, so Werner. Sechs Lehrlinge hat er in Stahnsdorf ausgebildet, nur einer ist bis heute Zinngießer. Was passiert, wenn Werner in die Rente geht? Er sieht es realistisch: „Mit der Zeit werden auch die letzten Zinngießer in Deutschland verschwinden.“ Carina Körner

Carina Körner

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