Potsdam-Mittelmark: Kleine Brötchen backen andere
Die „Alte Bäckerei Nudow“ ist wieder eröffnet / Sozial benachteiligte Jugendliche werden hier ausgebildet
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Nuthetal - Für die alten Nudower kam es einer Zeitreise gleich, als sie am gestrigen Freitag die wiedereröffnete Bäckerei an der Dorfstraße betraten. Die Gesellschaft Brandenburger Kinder und Jugendlicher mbH (GFB) als Träger hat zusammen mit dem Siehtener Jugendheim „Heinrich Zille“ in vier Monaten die seit zehn Jahren leer stehende Backstube hergerichtet. Sozial benachteiligte Jugendliche sollen hier in Zukunft zu Bäckern oder Verkäufern ausgebildet werden. Keine Sozialpädagogik hinter verschlossenen Türen, wie Kay Uwe Linke, Leiter des Jugendheimes „Heinrich Zille“, in seiner Eröffnungsrede sagte. Das, was aus der Backstube in den kleinen Verkaufsraum kommt, soll seine Kunden nicht nur in Nudow finden. Denn die „Alte Bäckerei Nudow“ soll sich selbst tragen, die Einnahmen müssen die Ausgaben decken.
Karl Peesch erklärte sich schon gestern zum Stammkunden. Der 78-Jährige wohnt in direkter Nachbarschaft. Seit 1971 lebt er in Nudow und bis 1997, als das Geschäft geschlossen wurde, gehörte der regelmäßige Gang in die Bäckerei zum Alltag. Nicht nur Peesch war damals Stammgast. Auch sein Spitz namens Purzel erschien regelmäßig. „Der war der einzige, der in die Backstube durfte, um sich an kalten Tagen aufzuwärmen“, erzählte Peesch bei der Besichtigung der neuen, alten Bäckerei. Die Wiedereröffnung erlebte Hund Purzel nicht mehr. Seine Liebestollheit brachte ihn vor Jahren vor das Gewehr eines Jägers, so Peesch.
Derartige Anekdoten waren gestern zahlreich zu hören. Eine ältere Dame, die den kleinen Raum mit den zwei Tischen und acht Stühlen neben dem Verkaufsraum, der als Café gedacht ist, besichtigte, zeigte auf den alten Kachelofen und sagte: „Wenn der sprechen könnte“.
Kay Uwe Linke hat bisher erst vier Monate in der Dorfbäckerei verbracht, doch zu erzählen hatte er schon genug. Im vergangenen Jahr sei die Idee mit der Bäckerei entstanden. Als dann vor vier Monaten die Räume geöffnet wurden, fanden Linke und seine Kollegen nur Rumpelkammern vor. In Eigenleistung haben sie Ordnung geschaffen, die gesellschaftseigene Tischlerei hat das alte Mobilar restauriert, um so das rustikale Flair zu erhalten, und die GFB hat etwa 25 000 Euro in diesen besonderen Ausbildungsbetrieb investiert.
„Wir betreuen 30 Jugendliche im Alter von 11 bis 19 Jahren in unserem Heim“, sagte Linke. Die Ursachen für deren „soziale und individuelle Beeinträchtigungen“ liegen meist in den Familien. „Sie sind manchmal schwer zu motivieren, geben schnell auf oder reagieren manchmal impulsiv“, so Linke. Eine normale Ausbildung wäre schnell zum Scheitern verurteilt. Mit Bäckermeister Ronald Wolf habe man jemanden gefunden, der mit den Jugendlichen umgehen kann. Drei Jahre, wie bei einer normalen Ausbildung, sollen die Lehrlinge hier lernen können. Derzeit arbeiten in der „Alten Bäckerei Nudow“ zwei Verkäuferinnen, der Bäckermeister, zwei Bäckerlehrlinge und ein Jugendlicher im berufsvorbereitenden Jahr. Viel Zeit für die gestrigen Eröffnungsfeierlichkeiten blieben ihnen nicht.
Um 7 Uhr hatte die Bäckerei den Laden geöffnet, in den ersten drei Stunden kamen knapp 30 Kunden. „Damit können wir am Eröffnungstag zufrieden sein“, sagte Linke. Im Backraum wurden derweil große Bretter mit Teig beladen, ein Lehrling heizte den Holzkohlebackofen, der ein Markenzeichen der Bäckerei war und wieder sein soll. Von Montag bis Samstag wird die Bäckerei jetzt wieder geöffnet haben.
„Früher war das Nudower Landbrot ein Qualitätsprodukt in der Region“, so Linke. An die Tradition will er wieder anschließen. Kleine Brötchen können andere backen.
Dirk Becker
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