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KulTOUR: „Knast oder Freiheit“

Zum 10. Geburtstag des Huchelhauses in Wilhelmshorst war Wolf Biermann wichtigster Gast – und erinnerte sich an alte Tage hier

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Michendorf · Wilhelmshorst - Eigentlich kann man so etwas gar nicht machen, einen Mann solchen Kalibers in ein so kleines Haus einzuladen. Aber der Hamburger Liedermacher Wolf Biermann gehörte ja zur Zeit Peter Huchels gleichsam zum Inventar, und außerdem feiert das Wilhelmshorster Literaturhaus derzeit seinen zehnten Geburtstag – mehr als zweihundert Literaten lasen seitdem im Hubertusweg, manchmal wurde auch richtig diskutiert. Wolf Biermann also am Samstagabend live. Weil es auch der Besucher zu viele waren, übertrug man den Anlass auf eine Leinwand im Garten, dass es weit in die Nachbarschaft schallte. Hans Dieter Zimmermann, Vorsitzender der Peter-Huchel-Gedenkstätte, und Ministerin Johanna Wanka ließen es sich nicht nehmen, den weitberühmten Gast persönlich zu begrüßen. Letztere sagte zudem bereitstehende Gelder für „den Umbau des Hauses“ zu, ohne weiter darauf einzugehen.

Auch Katja Havemann war gekommen. Der Hauptpart gehörte natürlich Wolf Biermann allein. Er war gebeten, von seinem Verhältnis zu Peter Huchel zu erzählen, doch sprach er in der bewährten Mischung von längst erkannter Größe und vermeintlicher Bescheidenheit (als sei da ein Licht untern Scheffel zu stellen) erwartungsgemäß mehr von sich selbst, dazu ein paar Lieder zur Klampfe.

Er sei oft bei Huchels gewesen, „manchmal tagelang“, weil seine damalige „Flamme“ Eva-Maria Hagen nur im „Nazitheater Dessau“ spielen durfte und ihn via Michendorf beim geschassten Huchel absetzte. Vierzig Jahre später wieder vor Ort, gab es für den geborenen Alleinunterhalter eine Menge zu erzählen – über Dichtung und Wahrheit, über Freunde und Feinde. Ab und an ein paar Brocken Französisch einflechtend, berichtete er von Robert Havemann, dem Aufrechten, und von der „Kanaille“ Wolfgang Harich, welcher „für eine Schlaftablette seine Leute verpfiff“. Klar, wem er sich zuneigte – stets auf der richtigen Seite.

Von höchst ministerieller Stelle zum „Abhauen“ aufgefordert, blieb er, und konnte die Flüchtigen nicht verstehen. Auch Huchel („war hier ziemlich eingedusselt“) nicht, welche dem Freund von seinem Weggang 1971 gar nichts verriet. Nachdem beide im Westen gelandet waren, habe er nie wieder mit ihm ein Wort gesprochen. „Bin müde, brauche Knast oder Freiheit“, vertraute er damals seinem Tagebuch an. Er muss mächtige Gönner gehabt haben, dass man ihn bis 1976 nicht weggeschnappt hatte.

Zuvor aber lag diese Freundschaft der eben nicht dauerhaften Art. Beide hatten Probleme mit den Behörden, beide konnten nicht publizieren, „also brauchte es keinen Mut, einander zu besuchen“. Hier Biermann, von der Mutter beauftragt, „die Welt zu retten“, da die gesammelte Schar der Bonzen. Hier der „greinende“ Naturlyriker Huchel, da der „blutjunge Anfänger“ mit seiner Gitarre – des einen Lähmung war dem anderen Inspiration. Sein inzwischen von aller Welt bis nach Schweden gesungenes und im Hubertusweg entstandenes Lied „Ermutigung“ war direkt Huchel gewidmet, vielleicht auch, weil der resignierte Poet so sehr von Ehefrau Monica regiert wurde wie Ernst Bloch („das muss man wissen, sonst versteht man Geschichte nicht“) von der Seinen. Fast alle hatten ja „im Streit der Welt“ einen autobiographischen Bezug. Mit Charme, Schauspieltalent und der bekannten Eitelkeit berichtete er vom „Fraß“, der ihm hier vorgesetzt wurde, vom abendlichen Ritual mit Westfernsehen und gestrecktem Rotwein, auch von seiner „Angst“, sonst hätte man dem glänzenden Rhetor wohl nicht jedes Statement abgenommen.

Biermanns Selbstbewusstsein erlaubte sich, sein Publikum (Anwesende ausgeschlossen) als „zahlendes Pack“, die DDR-Bürger seiner Zeit ganz sportiv als „Speichellecker“ zu bezeichnen. Was nicht nach seiner Façon war und ist, taugt eben nichts. Hier „wir“, dort „sie“, so redete er dahin, bis man selbst etwas müde wurde. Anschließend gab“s ein Getränk und Laugengebäck für alle.

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