Von Tobias Reichelt und Henry Klix: Kommunalpolitik vor dem Anpfiff
Dank Fußball-WM laufen die Sitzungen der Gemeindevertreter zurzeit etwas schneller
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Stahnsdorf / Schwielowsee - Die Augen wandern von der Uhr zur Decke – Stahnsdorfs Bauausschusschef Claus-Peter Martensen (CDU) ist vor dem ersten Halbfinalspiel am Dienstagabend angespannt wie die Urus. Das kommunalpolitische Geschäft geht weiter – ungeachtet der Fußball-WM. Martensen gehört zu den Gemeindevertretern, die leiden. „Ich kann mir vorstellen, dass heute viele pünktlich zu Hause sein wollen“, mahnt er und lässt die Sitzungsglocke dröhnen wie eine Vuvuzela. Zwei Stunden bis zum Spiel, am Anfang läuft es gut: In Rekordzeit wird die Tagesordnung besprochen, das letzte Protokoll abgehakt. „Wir haben auch noch eine Einwohnerfragestunde“, knurrt Martensen und lässt den Blick von seiner drei Seiten langen Tagesordnung zum Publikum wandern. Nur einer traut sich. Doch nach fünf Minuten verliert die Versammlung an Fahrt.
Über den Schulhofumbau der Lindenhofschule wird eine ganze Stunde palavert, Bürgermeister Bernd Albers gibt eine quälend lange Erklärung ab, dankt Berliner Technikstudenten für einen Umbauentwurf und überreicht ihnen feierlich Urkunden. Danach reiben sich Fußballbanausen an Kleinigkeiten auf, das dauert. Erst gegen neun kann Martensen entnervt die Sitzung schließen. Tröstlich, dass die bessere Halbzeit zwischen Uruguay und Holland noch bevorsteht. Doch andere machen vor: Es geht besser!
Noch 90 Minuten bis zum Anpfiff, 14 Tagesordnungspunkte stehen der Gemeindevertretung Schwielowsee an jenem Mittwochabend bevor. Der Versammlungsleiter hatte ausdrücklich um Eile gebeten, dann das: In der Einwohnerfragestunde meldet sich der Caputher Bürger Karl Sablong. Jemand pustet. Ausgerechnet Sablong, der Mann mit den bohrenden Fragen: Mal nach den Briefkästen an den Bürgerbüros, mal nach dem ja wohl merkwürdigen Umstand, dass im Spitzbubenweg noch keine Straßenbeleuchtung existiert. Ein anderes Mal will Sablong – skandalisierender Unterton – wissen, woher die Einwohnerzahlen in der Wahlbekanntmachung stammen. Bürgermeisterin Kerstin Hoppe reagiert meist halbwegs geduldig.
Diesmal, vor dem Anpfiff des Spiels Deutschland-Ghana, will Sablong wissen, warum die Mitgliederversammlung der Jagdgenossenschaft im nichtamtlichen Teil des Havelboten angekündigt wurde. „Im vorigen Jahr wurde sie im amtlichen Teil angekündigt“, schnappt der Rentner. Bürgermeisterin Hoppe brodelt, jetzt ein Eklat? Die Zeit rennt, Hoppe behält sich unter Kontrolle: In „geeigneter Form“ sei die Mitgliederversammlung bekannt zu machen. „Was geeignet ist, überlässt uns der Gesetzgeber.“ Puh.
Der Rest muss aber schneller gehen. Die SPD – Banausen! – wird übel beschimpft, weil sie kurzfristig einen Antrag zur Stasiüberprüfung der Gemeindevertreter eingereicht hat. Ein Thema für eine lange Diskussion zur Verfahrensweise, das soll der Hauptausschuss machen – später. Niemand will als Verzögerer dastehen, deshalb darf das Rathaus die Überprüfung schon mal einleiten. Alle anderen Anträge werden durchgewunken, selbst zur Erweiterung der Recyclinganlage zwischen Ferch und Glindow, gegen deren Betreiber die Staatsanwaltschaft zum Verdacht der „umweltgefährdenden Abfallbeseitigung“ ermittelt. Es gibt wichtigeres als Fußball – aber nicht jetzt. Sitzungsschluss: fünf Minuten vor dem Anpfiff!
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