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Potsdam-Mittelmark: „Kompass“ für Suchtgefährdete Beelitzer Therapiestätte am Wochenende eröffnet

Von Günter Brüggemann Beelitz · Elsholz - Als er 12 Jahre alt ist, will sich Andreas S. nur noch betäuben: Die Mutter stirbt, der Vater lässt den Jungen links liegen und in der Schule kommt er nicht mit.

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Von Günter Brüggemann Beelitz · Elsholz - Als er 12 Jahre alt ist, will sich Andreas S. nur noch betäuben: Die Mutter stirbt, der Vater lässt den Jungen links liegen und in der Schule kommt er nicht mit. Andreas greift zum Alkohol und zu Tabletten. Der Potsdamer rutscht in die Drogenabhängigkeit. Inzwischen ist Andreas 19 Jahre und wieder clean. Seit kurzem lebt er freiwillig in einer ehemaligen Funkstation weit außerhalb von Beelitz. Ein Haus des Komplexes ist für zwei therapeutische Wohngemeinschaften umgebaut worden. „Kompass“ heißt diese Einrichtung für suchtgefährdete Jugendliche, am Wochenende wurde sie offiziell eingeweiht. Träger ist ein Verein gleichen Namens. Bereits seit Anfang September geben die acht „Kompass“-Mitarbeiter vier jungen Männern die Möglichkeit, die Richtung ihres Lebens wieder selbst zu bestimmen (PNN berichteten). Wie Andreas sind die Jugendlichen erst nach dem Drogenentzug aufgenommen worden. Alkohol, Tabletten oder Haschisch hatten ihr Leben zuvor zur Hölle gemacht. Einige lebten auf der Straße und bettelten. Vier weitere Plätze in der Wohngemeinschaft sollen bis November vergeben werden, wie Einrichtungsleiter Bernd Schmidt erläutert. Insgesamt sollen nach der Sanierung eines weiteren Gebäudes 16 junge Leute im Alter von 13 bis 21 Jahren, bei Wohnen, Freizeit, Bildung und Arbeit individuell betreut werden. Geplant ist, dass sie zwischen 18 und 24 Monaten in der Abgeschiedenheit bei Beelitz bleiben. Dass die Jugendlichen „sehr viel in der freien Natur machen“, ist für Schmidt das Besondere am Betreuungskonzept von „Kompass“. Auf diese Weise kämen die Abhängigskeitskranken, die ansonsten zumeist in größeren Städten leben, zur Ruhe und seien gerade am Beginn ihres Aufenthalts „sehr nah bei sich selbst“. Wichtig ist auch, dass die jugendlichen Bewohner wieder lernen, ihren Tag zu strukturieren und Anforderungen zu erfüllen. Eine wesentliche Hilfe sind ihnen dabei die – zurzeit – zehn Huskys und Mischlingshunde, die „Kompass“ hält. Die Hunde müssen dreimal am Tag ausgeführt und versorgt werden. Jeder der jungen Männer erhält ein Tier in Pflege. Die Hunde müssen auch trainiert werden, denn in den nächsten Monaten sollen sie an mehreren Hunderennen teilnehmen. „Es ist schon ein großer Unterschied, ob ein Betreuer die Jungen zum Aufstehen zwingt oder ob draußen ein Hund heult, weil er gefüttert werden möchte“, sagt Schmidt. Die Hunde erzwängen auf natürliche Art das Einhalten von Regeln. Zudem haben die oft wegen ihrer Sucht bindungsgestörten jungen Leute wieder die Chance, zu einem Lebewesen Vertrauen aufzubauen. Neben der Arbeit mit den Vierbeinern müssen sie selbstständig für sich und ebenfalls für die Betreuer sorgen. Das heißt: Sie kochen, waschen, heizen und erziehen sich damit quasi selbst. In einer Arbeitstherapie sollen sie ferner fit für die Aufnahme einer Lehre gemacht werden. Dabei kümmern sie sich derzeit etwa um den Umbau der „Kompass“-Häuser. Einzel- und Gruppentherapie vervollständigen das Programm der Wohngemeinschaftsmitglieder. Ein zentrales Merkmal des Zusammenlebens ist die Einbeziehung der Heranwachsenden in Fragen, die ihren Aufenthalt betreffen. So bestimmen die Jugendlichen beispielsweise mit, wer neu aufgenommen oder aber rausgeschmissen wird. Es ist ihnen außerdem erlaubt, zu rauchen und in Maßen Kaffee oder Cola zu trinken. Denn sie sollen Schmidt zufolge den Umgang mit legalen Rauschmitteln beherrschen lernen. Im Konsens zwischen Jugendlichen und Betreuern wurde auch entschieden, den 17-jährigen Bastian aus Thüringen wegen schwerer Regelverstöße zur Besinnung für drei Tage in Begleitung einer Mitarbeiterin in den Wald zu schicken. Er hatte seinen Mitbewohnern Gewalt angedroht und Sachen beschädigt.

Günter Brüggemann

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