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KulTOUR: Kraftstrotzende Komödie mit drögem Ende

Die Kleine Bühne in Michendorf bringt einen wenig durchorganisierten „Tartuffe“ auf die Bühne

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Michendorf - Was ist wohl besser: Ein toter Moliere oder ein lebendiger „Tartuffe“? Zugegeben, diese rhetorische Figur scheint paradox, aber wie viele werkgetreue Aufführungen des besagten Meisterstücks französischer Komödienkunst hat man nicht schon gesehen, in denen weder Saft noch Kräfte waren – nur seines Autors Jean-Baptiste Poquelin, genannt „Moliere“, zuliebe!

In der Kleinen Bühne im Volkshaus zu Michendorf bestritt man bei der Einrichtung des eigentlich unspielbaren Stückes von 1664 den umgekehrten Weg: An erster Stelle stehen hier gesellschaftliche Intention und „Lesart“, danach kommt alles Historische. Das bewährte Ensemble mit seinem Regisseur und Hauptdarsteller Rafael Hilpert wollte ja keinen Theaterabend für achtmalkluge Romanistik-Studenten einrichten, sondern eine laute und kraftstrotzende Komödie für Michendorf und Umgebung, für Heute. Daran lassen nun weder Bühne noch Kostüme einen Zweifel. Mario Schüning gab den wohlhabenden Bürger Orgon, welcher auf die Bauernfängerei des frömmelnden Titelhelden hereinfällt, ihm das Vorrecht in der Familie überlässt, Gut und Geld überträgt, schließlich sogar seine Tochter Marianne (Katja Schmuck) an ihn binden möchte.

Zu Beginn spielt er seinem besorgten Schwager Cleante (Andreas Linck) einen New-Age-Typen vor, was aber nicht durchgehalten wird, wie so vieles andere auch: Die fabelhafte Haushälterin Dorine (Judith Steinhäuser) etwa hat ihren großen Auftritt bis zur Pause, danach fast gar keinen mehr. Auch Mariannes Verlobter Valere (André Borning) bleibt ein Stiefkind der Regie. Grund für diesen schlecht durchorganisierten Aufbau ist die von Hilpert verwendete Textfassung (deutsch von P. Gilbert), die stark vom Original abweicht. Das Spiel beginnt und endet mit einer Fete, bei der die Schauspieler plötzlich zum Standbild erstarren. Dazwischen zielen etliche Dialoge darauf ab, die üble Kuppelei des Vaters zu unterbinden und Tartuffe wieder aus dem Hause zu kriegen. Hilperts Tartuffe selbst ist kein religiöser Frömmler, sondern vernunftbegabter Beutelschneider im schneeweißen Anzug, der genau weiß, was er will: Elmire zum Beispiel, Orgons Gattin. Karina Lehmann spielt diesen Part völlig unscheinbar, bis sie den verblendeten Ehemann in der gut geratenen Tischszene von Tartuffes Gelüsten überzeugen kann. Freunde des Historischen, der werktreuen Inszenierung, werden sich bei dieser Textfassung sicherlich wundern, auch wenn sie gar nicht so übel gedacht ist. Sie setzt auf Anspielungen, auf Gegenwart, das aber manchmal zu vordergründig. Nachdem Tartuffe die bürgerliche Familie ordentlich ruiniert hat, tritt hier nicht wie bei Moliere, der König als deus ex machina auf den Plan. Hier war Advokat und Schwager Cleante helle genug, dem vermeintlichen Gauner das Handwerk fachgerecht zu legen – wozu es allerdings der Rolle des grinsekaterigen Gerichtsvollziehers Oliver de la Parra bedurfte.

Am Schluss der meist flüssig gespielten Inszenierung gibt es ein politisch korrektes, aber gallebitteres Bekenntnis zur „Rechtsstaatlichkeit“. Das Ende wirkt dröge. Bleibt zu grübeln, wo denn nun der Sitz der Komödie ist, bleibt zu fragen, wieso juristisch korrekte Verträge plötzlich „himmelschreiendes Unrecht“ sein sollten. Das ist der Weg zum „echten“ Tartuffe, zur „Spielbarkeit“ des toten Moliere!

„Tartuffe“ in der Kleinen Bühne im Michendorfer Vokshaus, Potsdamer Straße 42 noch am 3. und 4. Juni um 19.30 Uhr, am 5. Juni um 17 Uhr

Gerold Paul

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