Potsdam-Mittelmark: „Kultur? Gibt“s die hier?“
Jürgen Zartmann über viele Malzirkel und wenig Schauspiel in seiner Heimatregion
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Stahnsdorf - Wenn der Schauspieler und Stahnsdorfer Jürgen Zartmann als Zuschauer ins Theater will, fährt er nach Potsdam. Auf die Frage, wie es um das kulturelle Angebot in der Region Stahnsdorf, Kleinmachnow, Teltow bestellt ist, reagiert er erstaunt und mit einer Frage, in der schon die Antwort steckt: „Kultur? Gibt“s die hier?“ Sicherlich biete der Südwestkirchhof Konzerte an, aber Zartmann vermisst die Vielfalt kultureller Angebote und auch das Publikum, das sich für ein solches Angebot interessieren würde. „Die darstellende Kunst spielt hier keine Rolle“, sagt er, „dafür unzählige Malzirkel, die nur die immer gleichen Leute anziehen“.
Der einstige Publikumsliebling des DDR-Fernsehens lebt seit 20 Jahren in Stahnsdorf. Vor einigen Jahren versuchte er, das kulturelle Leben in seinem Heimatort selbst aktiv mit zu gestalten. Im Jahr 2000 wurde er im Rahmen der „Zukunftskonferenz“, für die Arbeitsgruppe „Kultur“ eingeteilt, aber eigentlich wollte der Schauspieler in den „Verkehrsausschuss“. „Ich wollte mal sehen, wie dort entschieden wird“, erzählt er, „warum es zum Beispiel nicht möglich ist, dass die Bahnhofstraße zur Potsdamer Allee hin einen Grünen Pfeil bekommt, wenn alle Parallelstraßen doch einen haben“. Sein Engagement in dem „Kulturkreis“ stellte er bald wieder enttäuscht ein. „Das hat nichts bewirkt“, so Zartmann.
Über mangelnde Beschäftigung kann sich der mittlerweile 65-Jährige nicht beklagen. Er ist nicht nur im Theater zu sehen, sondern auch mit Lesungen unterwegs und als Dozent an der Theaterakademie in Zinnowitz tätig. Als Schauspieler steht er zur Zeit neben Judy Winter – dem Publikumsliebling des westdeutschen Fernsehens – in der Komödie am Kurfürstendamm auf der Bühne. „Schöne Überraschung“ heißt das Stück, in dem die beiden ein gut situiertes Paar geben, dessen liberale Haltung auf eine harte Probe gestellt wird.
Wie eine Probe oder einen „Beweis“ nahm Zartmann seine Theaterarbeit wieder auf, nachdem er von 1996 bis zum Jahr 2000 als „Christoph von Anstetten“ in der Daily Soap „Verbotene Liebe“ zu sehen war und am Filmset durch seine offene Kritik in Ungnade bei den Verantwortlichen gefallen sei. „Ich sagte mal, dass diejenigen die solche schlecht recherchierten Texte schreiben, diese auch sprechen müssten“, erzählt der Schauspieler, der sein Fach an der Theaterhochschule in Leipzig professionell gelernt hat. Daraufhin musste die Filmfigur „Christoph von Anstetten“ in der Serie sterben.
Amüsiert erzählt Zartmann heute über seine Erlebnisse mit den jungen Schauspielerkollegen in der Fernsehserie, denen es offensichtlich an einer soliden Ausbildung und dem nötigen kulturellen Verständnis gemangelt habe. „Ich fragte mal eine Kollegin, wie sie die Rolle denn anlegen will. Darauf antwortete sie: Mit Strähnchen“, so Zartmann, der die Auswirkungen einer „miserablen Volksbildung“ im Allgemeinen bei den jungen Generationen beobachtet und kritisiert: „Leute, die nie etwas von Lessing, Goethe oder Schiller gehört haben, sind schwer für das Theater zu interessieren“. Der Schauspieler ist der Meinung, dass Schulen und Elternhäuser es in den letzten Jahrzehnten versäumt hätten, einen Bildungskanon zu vermitteln, auf dem ein solches Interesse dann aufbauen könnte. „Die Musik von Mozart, Bach und Beethoven hörte ich, weil meine Eltern unzählige klassische Platten besaßen – ganz nebenbei, ohne, dass ich dazu angehalten wurde“, erzählt er aus seiner Kindheit, „damals gingen wir mit der Schulklasse alle vier Wochen ins Theater“. Zu seinem interessanten und erfüllenden Beruf des Schauspielers kam Zartmann als Schüler in einer Laienspielgruppe. Die Schultheater in der Region hätten es heute schwerer. Die Bühne in den Kammerspielen ist die einzige Auftrittsmöglichkeit in Kleinmachnow, Teltow und Stahnsdorf vor einem Theatervorhang. Zu DDR-Zeiten trat Zartmann hier selbst einmal im Jahr auf, mit literarisch-musikalischen Abenden oder mit einem frech-frivolen Kabarett-Programm. Heute denkt er, dass diese Angebote kaum noch Interesse wecken würden. Im Jahr 2001 versuchte der Schauspieler es mit einem Heinrich-Heine-Abend in der Stahnsdorfer Stabholzkirche, der fiel aber fast ins Wasser, weil die Veranstaltung für ein falsches Datum angekündigt worden war.
Trotzdem würde sich der prominente Schauspieler heute nochmal aktiv in die Region einbringen, wenn jemand den Mut hätte, etwas Neues zu probieren. „Ich bekomme ständig Einladungen zu Vernissagen, die ich auch gerne besuche, aber: Kultur ist doch viel mehr als das, hier fehlt der Mix.“ Mit einem befreundeten Sänger und einem Pianisten gestaltet Zartmann ab und zu Mozart-Abende, bei denen Literatur und Musik ineinander greifen. Allerdings werden die Künstler nur in Süddeutschland oder gar in der Schweiz engagiert. Aus der näheren Umgebung habe bisher noch niemand Interesse daran gezeigt, nicht einmal der Potsdamer Nikolaisaal, in dem Zartmann gerne noch einmal lesen würde. „Der Prophet gilt nichts im eigenen Land“ kommentiert der Schauspieler aus Stahnsdorf.
Karsten Sawalski
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