Potsdam-Mittelmark: Kulturrevolution durch Geschoss
Werder hat seit Donnerstag eine Stadtgalerie
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Werder (Havel) - Mit den ruhigen Zeiten ist es in Werder vorbei. Ein „Geschoss“ hat die Stadt des Obstbaus getroffen, plötzlich ist alles anders. Dieses wundersame Projektil schlug im neuen Bürgerhaus ein, früher den Schützen der Stadt gewidmet, auf der Insel nahe der katholischen Kirche.
Unten Gastronomie, in der Mitte ein „Veranstaltungssaal“, ganz oben, wie sich das gehört, die Stadtgalerie. Endlich ein Raum für die Kunst. Am Donnerstag wurde dort auch Ausstellung Nummer Eins eröffnet, eine „Bestandsaufnahme“ der künstlerischen Potenzen von Werder und Umgebung. Das Rathaus spendierte ein erstklassiges Büfett zum Empfang, eine ganze Stadt gab sich die Ehre – die Stützen der Gesellschaft, Künstler und Bürger, buntes Gewimmel, so soll es sein!
In dem Maler Frank W. Weber hat man einen so geschulten wie engagierten Kurator gefunden, der sich von der Vorbereitung bis zur Hängung um alles kümmerte. Ausgeschrieben war das Projekt im Amtsblatt, das scheinen viele zu lesen. Jedenfalls kann sich der „Großraum Werder“ gleich mit sechsundzwanzig Jüngern der zeitgenössischen Künste schmücken, Maler, Bildhauer, Grafiker und Gestalter unterschiedlichen Temperaments und Stils. Hinter oder über allem steht der Ehrenbürger Karl Hagemeister honoris causa, in der Ausstellung mit zwei Werken vertreten, Höchstselbst in Form einer Tonbüste von Klaus Möde aus dem Fläming-Ort Neu Rietz. Man pflegt, was man hat.
So demokratisch wie im Stadtparlament sollte es auch unterm Dach des Schützenhauses zugehen. Alle Bewerber, Profis, Amateure und „Semiprofessionelle“, sind gleichermaßen mit zwei Arbeiten beteiligt, eine ist jetzt zu sehen, die andere nach dem 17. September in geänderter Präsentation. Geschickt gefädelt, man soll gleich zweimal kommen! Schon jetzt gab es viel Lob für die „kunterbunte Ausstellung“, so der Kurator – eine gelungene in jedem Fall.
Die sechsundzwanzig „juryfrei“ ausgewählten Arbeiten überraschten ja in jeder Beziehung. Durchweg gediegenes Handwerk, eine Fülle von Themen, prominente Namen standen neben nicht so bekannten, in der Malerei schien fast jeder Zeitstil vertreten. Es wäre Spezialistensache, den Amateur vom Profi zu scheiden. Werder hat also viel zu bieten, da braucht es ein solches „Kunst-Geschoss“. Naheliegend, mit Ingrid Junghanns zu beginnen, bemalt sie doch seit 1997 die Scheiben mehrerer Schützenvereine. Runde Formate, was sonst. Lebensnah hat Christa Griesbach einen „Frischemarkt“ aquarelliert, Gudrun Mader (Kunsthof Glindow) ist mit einem Bild chinesischer Tonart dabei, es heißt „Zhong-guo“ und zeigt irdische Schichtungen unter dem Gras.
Konstruktivistisch wirkt Ilse Melzers „Lichtung“ im Grün kühler Farben. Kathrin Klemm hat sich mit „A must see – NY“ indes dem grellen Fotorealismus nach US-Bauart verschrieben, Gabriele Karele eher dem impressionistischen Pinsel. Wilfried Mix erdachte ein Bild mit dem verdächtigen Titel „Wache auf beim Obsteinkauf“, hinter dem vermeintlichen Heimatsujet lauert handfester Surrealismus!
Arno C. Schmetjen und Frank W. Weber muss man nicht extra hervorheben, auch Peter-Joseph Weymann vom „Kuddeldaddeldu“ nicht, er hat sich im neuen Kunstraum einen „Lebenstraum erfüllt!“. Grafiken gibt es von Wolfgang Wittig und Klaus-Dieter Spangenberg, Rose Trotte zeigt eine filigrane Materialcollage in Blau. Nicht zuletzt die Plastiken oder Skulpturen von Heike Schöneburg und Beate Rammelt beweisen, wie sehr der Künstler den Kurator, der Kurator den Künstler beriet.
Mögen die beiden dunklen Figuren in „Aussprache“ auch noch „crämern“, mit „Urteil des Paris“ hat Wolfgang Niesler etwas Originales geschaffen: Drei Damen, eine dabei, sich „oben herum“ zu entblättern, eine andere mit dem Gesicht einer Bäuerin – doch weit und breit kein Paris! Das hat genauso „etwas“ wie Grit Rademachers Naturidyllik, wie Hans Stahlbergs „romantischer Realismus“. Und Paris? Das ist doch wohl stets der Betrachter.
„1. Bestandsaufnahme“ bis 5. Oktober im „Kunst-Geschoss“, Uferstr. 10. Geöffnet Mittwoch , Donnerstag, Samstag und Sonntag von 13 bis 18 Uhr. Heute ab 12.30 Uhr: Tag der offenen Tür im Schützenhaus!
Gerold Paul
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