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Stimmung am Schwalbenberg. Die Clowns Vitamine (vorn) und Charlotte singen und machen Späße mit den Bewohnern. Alle zwei Wochen besuchen Clowns die Senioren

© dpa

Potsdam-Mittelmark: Küsschen für Hella Propella

Klinikclowns bringen Lachen und Musik in Seniorenheime und Kliniken. Sie dürfen aber auch weinen

Von Enrico Bellin

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Werder (Havel) - Das Akkordeon schallt durch den Gemeinschaftsraum des Seniorenheims „Am Schwalbenberg“, die Bewohner beginnen spontan zu jodeln oder Mandoline zu spielen. Wer noch kann, wagt ein Tänzchen mit Vitamine und Charlotte. Die beiden bunten Gestalten sind von den Potsdamer Klinikclowns und bringen alle zwei Wochen Abwechslung in den Alltag der Heimbewohner.

„Der große Klamauk mit allen macht Spaß, doch viel lieber gehen wir in die Zimmer und stellen uns auf jeden Bewohner ein“, sagte Vitamine alias Ute von Koerber am gestrigen Mittwoch. Gemeinsam mit sieben anderen Klinikclowns besucht sie regelmäßig Seniorenheime, Kliniken oder Hospize. Ein Auftritt dauert zwei Stunden, in denen Patienten in bis zu sechs Zimmern besucht werden. Vorher gibt es Treffen mit den jeweiligen Einrichtungsleitern, in denen besprochen wird, wer besucht werden soll und wie es denjenigen gerade geht.

Bei den Treffen muss nicht zwingend gelacht werden. „Wir sind keine Zirkusclowns, bei uns darf es auch Trauer oder Wut geben“, sagt Nicola Streifler, Vorsitzende des Klinikclown-Vereins und selbst geschminkt als Hella Propella unterwegs. Wer nicht zum Scherzen aufgelegt ist, singt vielleicht lieber ein leises Lied, das die Clowns dann mit ihren Instrumenten begleiten, oder freut sich einfach, wenn jemand seine Hand hält. Auch die Clowns dürfen mal schlecht drauf sein. „Wenn ein Besuch traurig war, dürfen wir zwischendurch kurz heulen, bevor wir zum nächsten Bewohner gehen“, so Streifler. Manchmal helfe ein Gespräch unter den Kollegen, um Eindrücke zu verarbeiten.

Die acht Potsdamer Clowns sind Profis, geprüft vom Dachverband „Clowns in Medizin und Pflege“. Sie arbeiten mit der Stiftung „Humor hilft heilen“ von Eckard von Hirschhausen zusammen. Regelmäßig veranstaltet die Stiftung eine Akademie, in der über neue Forschungsergebnisse berichtet wird. Seit den 80er-Jahren gibt es Clownsbesuche in Kliniken, bekannt geworden sind sie unter anderem durch die Verfilmung der Arbeit von Patch Adams. Er war einer der Ärzte, die sich mit der positiven Auswirkung des Lachens auf Psyche und Genesung der Menschen befassten.

Anfang der 90er kam die Bewegung nach Deutschland. „Es gibt die Gelotologie, die Wissenschaft vom Lachen“, sagt Nicola Streifler. Fest stehe inzwischen, dass das Gehirn beim Lachen eine „Sauerstoffdusche“ bekommt. Lachen helfe beim Stressabbau und beschleunige manchen Heilungsprozess. Auch die Berührung und die intensive Beschäftigung mit den Menschen hilft. Ein vorgefertigtes Repertoire gebe es nicht. „Wir kennen die Bewohner oft ja länger und stellen uns auf sie ein“, so die Clowns-Vorsitzende.

Beim Auftritt am Mittwoch sieht man den Erfolg: Eben noch lustlos vor sich hin starrende Seniorinnen sind auf einmal hellwach, singen mit den Clowns Volkslieder, geben ihnen Küsschen auf die Wange nach einem gelungenen Klamauk. „Eigentlich müsste es die Clowns auf Rezept geben“, sagt die Leiterin der Seniorenresidenz, Linett Schuldt. Ihre Bewohner wären nach dem Besuch deutlich besser gelaunt und die Tage seien auch für die Pfleger mit weniger Stress verbunden. „Die gute Laune hält lange an, heute wird bei uns keiner Mittagsschlaf machen“, so Schuldt. 400 Euro kostet der Besuch von zwei Clowns.

Der Verein versucht, sich durch Spenden zu finanzieren. Obwohl bis auf die Vorsitzende alle Klinikclowns noch anderen Berufen nachgehen und einen Großteil ihrer Zeit ehrenamtlich opfern, seien die Besuche ohne Zuzahlung einfach nicht finanzierbar. Da auch das Geld bei der Pflege knapp ist, musste der Besuch von einer Einrichtung vor Kurzem eingestellt werden. Deshalb wünscht sich Nicole Streifler mehr Spender: „Wir wollen nicht mit Pflegern um Geld konkurrieren.“ In Werder sei das kein Thema gewesen. Auch im zweiten von Linett Schuldt geleiteten Seniorenzentrum im Wachtelwinkel ist die bunt geschminkte Mannschaft alle 14 Tage zu Gast.

Gepackt hat der Clowns-Virus Nicola Streifler und ihre Kollegen bereits vor Jahren. 2009 haben sie sich zusammengefunden, den Verein Potsdamer Klinikclowns haben sie 2012 gegründet. Von Beeskow bis Brandenburg/Havel sind sie seither unterwegs. Philipp Mayer ist der einzige männliche Clown im Team, bundesweit sei die Anzahl männlicher Klinikclowns überschaubar. „Man muss Gefühle zeigen und damit spontan agieren können, das könnte viele Männer abschrecken“, meint Mayer.

Mit ihm zusammen hat Nicole Streifler auch ihren bisher berührendsten Besuch gehabt. Als sie damals mit der Heimleitung sprach, hieß es, dass eine Bewohnerin, Frau Schön, im Sterben liege, die unbedingt noch mal besucht werden sollte. Streifler hat Frau Schön dann gefragt: „Sie haben so einen schönen Namen, wollen Sie mich nicht heiraten?“

Mit schwacher Stimme hat Frau Schön noch geantwortet: „Ein bisschen spät, nicht?“ Dann haben beide gelacht, ein paar Tränen vergossen und leise Hildegard Knefs „Für dich soll’s rote Rosen regnen“ gesungen.

Spendenkonto: Potsdamer Klinikclowns e.V., IBAN: DE 19 160 500 00 100 097 7648, BIC: WELAD ED1PMB

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