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DasWAR“S: Lauf des Lebens

Warum Peter Könnicke seiner Zeit voraus ist

Stand:

Ich bin einer von denen, die ihrer Zeit gern ein Stück voraus sind. Meine Uhr geht absichtlich zwei Minuten vor. Irgendwie beruhigt mich das. Es gibt mir ein Gefühl, gut in der Zeit zu liegen. Wenn es eng wird, hätte ich noch ein paar Reserven. Mindestens 120 Sekunden.

Gerade habe ich einen etwas erbosten Anruf einer Frau erhalten. Sie hat bei uns von einem Konzert in der Kirche auf dem Südwestfriedhof gelesen. Es findet, so die Ankündigung, am „Samstag, dem 17. September“ statt. Daraus ergeben sich zwei Möglichkeiten. Entweder, man geht am Samstag hin. Oder am 17. September. Das wäre allerdings Sonntag. Blöd! Seinen Ursprung hatte der Fehler bereits in der Ankündigung des Konzertveranstalters. Ich hab ihn blind übernommen. „Das können Sie nicht machen“, ermahnte mich die Frau. „Bei Geld und Daten muss man immer kontrollieren.“

Wirklich? Vielleicht wäre bei weniger Datenkontrolle mein Leben vor 15 Jahren anders verlaufen. Damals verbrachte ich meine Tage mit Sport und Laufen. Ich träumte von Siegen, Ruhm und Ehre. Immerhin hatte ich es geschafft, in einem Rennen in Holland in einem Feld mit afrikanischen Läufern zu stehen, die ja bekanntlich gar nicht langsam laufen können. Es war Wahnsinn: die erste Hälfte der 10 000 Meter lief ich wie von selbst. Ich merkte nichts. Nach der 14. Runde hatte ich die Kontrolle verloren. Ich erkannte nicht, was meine Uhr anzeigte, ich sah und hörte nichts. Bald darauf überrundeten mich die ersten Afrikaner. Ich lief und lief, bis ich das Rundenschild sah: eine Runde noch! Ich rannte, bis ich das Blut im Mund schmeckte und kam angeblich als Siebter in Ziel. Ich blieb stehen, sah auf die Uhr und dachte: Scheiße! Ich war eine Runde zu wenig gelaufen. Die „1“ galt denen, die mich überrundet hatten.

Es ist niemanden aufgefallen. Ich tauchte in den Ergebnislisten mit dieser irren Zeit und vor den meisten Afrikanern auf. Einen Moment überlegte ich, es gelten zu lassen, nichts zu sagen. Einen Moment war ich da, wo ich hin wollte. Es hätte ein Anfang sein können. Oder das Ende. Wahrscheinlich wäre ich den Beweis für diese Zeit immer schuldig geblieben. Und so beschloss ich, die Zeit meines Lebens annullieren zu lassen.

Ich hätte der Frau sagen können, dass sie zur Sicherheit am Samstag zu dem Konzert fahren soll. Da könne sie nicht falsch machen, denn im Zweifelsfall hätte sie eine ganze Runde Vorsprung: 24 Stunden Reserve. Hab ich nicht gemacht. Ich hab mich nach dem richtigen Datum erkundigt und es ihr gesagt, das Konzert ist am Sonntag. „Sehn“se“, sagte sie, „so ist es korrekt.“

Mag sein. Trotzdem überlege ich, ob ich meine Uhr jetzt um fünf Minuten vorstelle. Der verpassten Zeiten wegen.

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