Potsdam-Mittelmark: Letzte Chance für Lukas
Schulverweigerer-Projekt „Lern-Insel“ stellt sich in seinen neuen Räumlichkeiten in Beelitz vor
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Beelitz - Oft ist Lukas* in den vergangenen Jahren nicht mehr in der Schule gewesen. Mit seinen Freunden hat er lieber Steine gegen die Fenster der Klassenzimmer geworfen, sich am Busbahnhof herumgetrieben. Gute Noten hatte er nicht. „Ich bin immer nur zur Schule, wenn ich wollte“, sagt der 15-Jährige. Seit diesem Schuljahr besucht er die „Lern-Insel“ in Beelitz, eine Auffangstation des JOB e.V. für Schulverweigerer. Am Freitag wurden dort die neuen Räume der Öffentlichkeit präsentiert: zwei Klassenzimmer, ein Beratungsraum, eine Küche.
Zwölf Jugendliche lernen hier täglich Mathe, Deutsch und Englisch. Für die meisten ist es die letzte Möglichkeit, noch einen Schulabschluss zu bekommen. Unterrichtet werden sie in einer achten und einer neunten Klasse. Die Lehrer kommen von der Solar-Oberschule Beelitz. Die Schule kooperiert mit dem gemeinnützigen Verein. Ohne intensive pädagogische Betreuung wäre das Projekt nicht denkbar. „Wir haben hier Jugendliche, die straffällig oder gewalttätig geworden sind, genauso wie Jugendliche mit Suchtproblemen“, sagt JOB e.V.- Geschäftsführer Thomas Lettow.
Auf dem Wochenplan der Schüler stehen auch „Sozialkompetenztraining“, „Entspannungstraining“ und „Lebensgestaltung“. Heike Bach lehrt diese Fächer. Sie ist Sozialpädagogin, für die Jugendlichen ist sie Bezugsperson. „Sie brauchen Zuwendung, Aufmerksamkeit und Verständnis“, so Bach. Meist kämen die Jugendlichen aus schwierigen Verhältnissen, einfach sei der Unterricht nicht. „Einige Schüler haben Probleme beim Lesen und Schreiben. Sie haben Angst vor Rechtschreibfehlern und können Texte nicht sinngemäß erfassen“, erklärt sie.
Die Sozialarbeiterin geht weg vom Frontalunterricht, lässt die Schüler in Gruppen arbeiten. Praktische Erfahrungen machen einen Großteil des Wochenplans aus: Am Montag ist Praxistag, die Schüler sollen Aufgaben gemeinsam bewältigen. Manchmal arbeiten sie mit Holz, manchmal kochen sie. Im Fach Lebensgestaltung geht es um Wünsche und Sorgen. Viele träumen vom eigenen Haus, einem Auto. Die Schüler lernen, was solche Dinge kosten, wie sie Ziele erreichen können.
Die Fächer sind ähnlich wie in der Regelschule. „Aber die Leute reden mit uns anders“, sagt Lukas. „Die beantworten auch eher meine Fragen.“ Lebensnah muss der Unterricht sein, sonst verlieren die Schüler das Interesse. Eine Stunde dauert 35 Minuten. Damit die Jugendlichen sich nicht verweigern, muss Bach sie immer wieder neu motivieren. „Das kann schon anstrengend sein.“
Gegründet wurde das Projekt „Lern-Insel“ im März 2003. Damals arbeitete der Verein mit der Oberschule Neuseddin zusammen. Als diese nach dem letzten Schuljahr geschlossen wurde, nur der Grundschulteil übrig blieb, suchte Lettow neue Räume und neue Partner, um das Projekt fortzuführen. Es war das einzige im Landkreis Potsdam-Mittelmark. „Wir sind froh, dass die Stadt Beelitz und die Solar-Oberschule uns da unterstützt haben“, sagt Lettow. Durch eine Möbelspende des Vereins Kindersorgen-Sorgenkinder konnte die Einrichtung ergänzt werden. Die laufenden Kosten – 140 000 Euro pro Schuljahr – werden mit Mitteln aus dem Europäischen Sozialfonds finanziert. Die Ausgabe hält Lettow für sinnvoll. „Sonst finden die Jugendlichen keine Lehrstelle und später keine Arbeit. Meist droht dann Hartz IV, dadurch steigen die Folgekosten.“
Immer mehr Jugendliche verlassen ohne Abschluss ihre Schulen. In Brandenburg stieg die Zahl in zehn Jahren um zwei Prozent. Insgesamt gingen im letzten Schuljahr 10,6 Prozent der Schüler ohne Abschluss. Bundesweite Schätzungen gehen von ein bis zwei Prozent „harten“ Schulverweigerern aus. Lukas ist einer von ihnen. Seine letzte Chance will er jetzt nutzen. Was danach kommt? Er weiß es nicht. (*Name von der Redaktion geändert)
Carina Körner
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