KulTOUR: Letzte Werke in Werder
Ambitionierter AAVAA-Verlag stellte in der „Comédie Soleil“ fünf seiner Autoren vor
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Von Gerold Paul
Werder (Havel) - Temperament, Leidenschaft, letztlich die Erweckung und Ermunterung aller Lebensgeister der Umgebung, das sind die tieferen Antriebe für das angeblich „letzte Werk“ von Michael Klemm, die „Comédie Soleil“. Auch Hans Lebek spricht von seinem „letzten Werk“, meint aber nicht sein Fuhrunternehmen, eher dessen heimliche Frucht, den AAVAA Verlag, vielleicht einem der seltsamsten weit und breit. Vom vielrädrigen Hauptberuf gesponsert, ehrenamtlich organisiert und geführt, will der leidenschaftliche Autor und Bücherleser „jungen Autoren“ beim Durchstarten helfen. Einmal in der Spur, würden sie ohnehin von Buch zu Buch besser.
Seine Konditionen lassen weit blicken: keine Kürzungen, keine Zensur, nicht mal ein Lektorat, die Autoren müssen allein auf die Qualität ihrer Sprache achten lernen. Als Krimi-Macher hat er selbst erlebt, wie Klinkenputzen ist bei Großverlagen, und wie bitter, wenn man selber noch Startgeld zahlen soll. Das zahlt bei ihm keiner. Im ersten Jahr der Verlagsexistenz hat er bereits fünfzig Autoren um sich versammelt. Fünf von ihnen stellte der Verlag am Sonntag in Werders altem Kaufhaus vor, dem neuen Sitz der Comédie seit gleichfalls einem Jahr, dem anderen letzten Werk eben.
Vorerst „gehe nur Roman“, erzählte der innovative Unternehmer bei Matinee Numero Eins. Für Gedichte oder Dramen reichten die Kräfte noch nicht aus, und von Kohle brauche man erst gar nicht zu sprechen. Prosa also. Claudia Winter hat einen ganz entzückenden Liebes-Roman aus dem Kölner Milieu geschrieben, zwar mit Rezepturen gewürzt wie weiland bei Mario Simmel, aber flockig-liebenswert, so dass der gut gefüllte Bühnenraum bei den vielen ironischen „Ich’s“ aus dem Schmunzeln gar nicht mehr herauskam. „Ausgerechnet Soufflé!“, was sonst!
Der engagierte Gewerkschafter Björn Harmening aus Salzgitter übte die Rache, als er seinem Protagonisten Specht den Beruf eines Börsenmaklers verordnete: „Einer von denen, die schuld an der Wirtschaftskrise sind. Das Schwein!“ witzelte er. Als Strafe machte er ihn zum „Zeitenjäger“, schickte ihn in etliche Vergangenheiten. Wiederkommen darf er erst, wenn er seinen Sohn gefunden, der in ein unerklärliches Koma gefallen war. Ein Klasse-Buch, wie auch diese beiden, besonders als Geschenk zu Weihnachten: Völlig konsterniert steht das Einhorn vor dem abgebrochenen Horn und stottert zu den Tieren, die es besiegten: „Wisst Ihr eigentlich, wie lange es dauert, bis das nachwächst?“ Warum wollte es auch keine Pflanzen mehr fressen! Eine Szene aus dem wunderschönen, selbst illustrierten Fantasy-Roman „Aurum & Agentum“ von Saskia Burmeister, darin es um die Rettung vieler Planeten geht. Das Böse stiehlt ihnen das Licht, nur auf dem Planeten der lachenden Kinder ist es noch etwas hell. Aber Flux, Kentaur und der Kampfkobold Beelzebub schaffen das schon, zu dritt.
Nicht minder berührend ist die Geschichte von der „Mondblumenpflückerin“ Celine, die den ständigen Zank ihrer Eltern nicht mehr erträgt. Ein kleines blaues Männlein hilft ihr, tief im Universum die Mondblume der Liebe zu finden. Wichtiger als die wundersame Versöhnung der Eltern ist sicherlich ihr Zugewinn an Selbstvertrauen. Beim Hören dieses berührenden Märchens von Germaine Angélique Wittemann bekam man richtig Gänsehaut.
Um Karriere, Geld und Sex geht es in „Alphacrash“. Wenn das Alpha-Weibchen sein Alpha-Männchen in den Hochetagen des Bänkerei sucht, wenn das Unglück einer starken Frau ein schwacher Mann ist, dann ist so eine Katastrophe nämlich unausbleiblich. Maternus Millet hat sein Buch ganz nah an die Wirklichkeit gerückt. Solche „letzte Werke“ lässt man sich gefallen, zumal alle Bücher als E-Book zu haben sind. Es gibt also mehr und Besseres zu lesen, als die großen Buchmessen mit ihren Sieb- und Sicherungsmechanismen einem da vorgaukeln. Unabhängiges nämlich! Nicht zuletzt war die Atmosphäre in Klemms Theater so, wie die Lesungen und die behutsame Moderation durch Roman Gegenbauer: aufgeweckt, leidenschaftlich, voller Temperament. Bei so viel Erfolg ist die nächste Matinee fast schon im Kasten – für Nachzügler und Fortgeschrittene gleichermaßen. Gerold Paul
Gerold Paul
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