KulTOUR: Liebe, Spott und Spießerdrama
Der Autor, Komponist und Menschenspötter Jan-Frank Süße auf der Kleinen Bühne im Volkshaus
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Michendorf - Jan-Frank Süße ist ein echter Glückspilz. Nicht nur, weil man ihn zur aussterbenden Minderheit der lyrischen Baritone zählt, sondern weil ihm der berühmte Autor, Komponist und Menschenspötter Georg Kreisler, nota bene, genau jenes Georg-Kreisler-Programm geschenkt hat, welches am Wochenende in Michendorfs Kleiner Bühne nach langem Schlaf wiederaufgeführt wurde. Da staunt der Laie nun doch, Kreisler-Couplets sind zwar Bestandteil vieler lustiger Abende, aber Kreisler allein? Das ist selten genug.
Ein Glücksfall für die emsigen Theaterleute um Prinzipal Siegfried Patzer, auch für das Publikum aus Fern und Nah, zumal Jan-Frank Süße und seine Bühnenpartnerin und Gattin Daphne Schönfelder-Süße auch noch in der Nachbarschaft wohnen, in Wilhelmshorst. Fast neunzig Minuten Liebe, Spott und Spießerdramen, nicht nur, als Jan Süße seinen Freudentraum „Mein Weib will mich verlassen!“ ins Parkett schmetterte, oder seine Protagonistin im langen Weißen mit einem etwas dünnen Sopran den Hochmut von Gnä’ Frau attackierte. Ihr gehörte auch der kaum durchgestaltete Titelsong „Ich kann weinen, doch ich weine nicht“. Zwei Stühle vor samtrotem Hintergrund, ein Bartisch plus Klavier genügten zur Ausstattung dieser kleinen „Publikumsbeschimpfung“.
Für den gebürtigen Wiener jüdischer Herkunft, Jahrgang 1922, war es seit jeher klar, dass den Verruchtheiten dieser Welt weder mit Kraft noch mit guten Argumenten beizukommen sei, bestenfalls noch mit Humor. Diese Einstellung teilt er mit seinem Gesinnungsgenossen Loriot, nicht aber den Grad. Während dieser feiner und also beliebter ist, mag der Österreicher eher die feingrobe oder gallige Tour, nicht nur an dem umwerfenden Lied „Alles zerbrochen“. Mit Wonne spießt er jene auf, die nur immer sagen, was andere meinen, er lässt den Großstädter beim Almenurlaub von einäugigen Elchen träumen, die roh den Jochen abgestochen, oder erzählt seiner Dame gegenüber mit todernster Miene jenen Witz vom Freund Fritz, dessen Pointe er mal wieder vergaß. Das haute den mitsingenden Pianisten Paul-Johannes Kirschner glatt von seinem Pianistenhocker. Jede Kreisleriana wird besser, je böser sie ist.
„Herrlich, herrlich, herrlich!“ seufzte eine Dame im Parkett höchst entzückt. Szenenapplaus, Einverständnis. Es sind ja sowieso immer die anderen gemeint. In Teilen lau, in Teilen gallebitter, könnte man auch sagen, denn bis zur Pause kam das Programm eher unentschlossen daher. Der Bariton füllte den Raum allzu innig und fast klirrend mit seinem Volumen, manch einstudierte Geste wollte so wenig überzeugen wie ein zu starrer Gestus zum Couplet. Darauf kommt es Kreisler ja an: Das Publikum zu provozieren, zu verspotten. Wenn dieses trotzdem applaudiert, ist sein terrorismusverdächtiger Hunger gestillt. Couplet-technisch interessant ist übrigens, wie geschickt dieser Mann seine eigene Prosa vertont. Besser als alles Gereimte!
Obwohl deutlich besinnlicher angelegt fand, der zweite Teil zu diesem boshaft-lauerndem Unterton, der zugleich darstellerische Souveränität verhieß. Hier ging es um den neugeborenen Mathias, der zum erstem Mal ausgebüxt war, um gewohnheitsbedingte Haltungen und um die alltägliche Feigheit der Öffentlichkeit, was die Sopranistin im Finale wünschen ließ: „Sei nicht wie die Leute, mein Kind!“
Dieses Programm braucht nur noch ein bisschen mehr Profil für diese Welt, und jede Menge Reprisen. Auch in und für Michendorf, ist doch klar!
Gerold Paul
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