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Für Sicherheit entschieden. Ulrich Vetter in der Führerscheinstelle in Werder (Havel).

© privat

Potsdam-Mittelmark: Lieber ohne Lappen

Ein 77-jähriger Fercher hat freiwillig seinen Führerschein abgegeben. Das machen nur wenige Senioren

Von Eva Schmid

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Schwielowsee - Die Ängste sind verflogen, die Albträume lassen nach. Seitdem der Führerschein als Erinnerung eingerahmt an der Wand hängt, ist Ulrich Vetter viel entspannter. Seine Fahrerlaubnis – Ausstelldatum 1966 – hat der 77-Jährige vor wenigen Tagen beim Verkehrsamt in Werder (Havel) ungültig machen lassen. Ein Schritt, der überfällig war, meint der Rentner.

„Ich fühle mich richtig befreit“, sagt Vetter, der im Mehrgenerationenhaus Tilia in Ferch lebt. Vorbei seien die Schreckensmomente im Auto, in denen es ihm kurz schwarz vor den Augen wurde. „Das passierte, wenn ich eine Hustenattacke hatte.“ Dazu kam die Vergesslichkeit: „Ich wusste nicht mehr, über welche Route ich an mein Ziel gekommen bin.“ Vetter hatte befürchtet, wegen eines Fahrfehlers mal einen schlimmen Unfall zu verursachen – und schuld am Tod von jungen Menschen zu sein. Seit Jahren dachte der Fercher darüber nach, den Führerschein abzugeben. Jetzt war es so weit. „Auslöser war meine Physiotherapeutin.“ Sie empfahl ihm eindringlich, das Autofahren sein zu lassen.

Nur wenige Senioren verzichten freiwillig auf ihr Auto. In Potsdam-Mittelmark sind es pro Jahr höchstens drei Autofahrer, die ihren Führerschein abgeben, heißt es aus der Werderaner Führerscheinstelle. Auch Vetter berichtet von gleichaltrigen Freunden, die ihr Auto nicht aufgeben wollen. „Einer hatte sich vor Kurzem sogar noch einen neuen Wagen gekauft.“

Laut der jüngsten Verkehrsunfallstatistik der Polizeidirektion West sind immer mehr Senioren an Verkehrsunfällen beteiligt. Im vergangenen Jahr verursachten demnach Verkehrsteilnehmer über 65 Jahre fast 3000 Unfälle. Gemessen an der Gesamtzahl der Verkehrsunfälle lag der Anteil damit bei rund zwölf Prozent.

Auch der Verkehrsexperte Jörg Becker vom ADAC Berlin-Brandenburg warnt: „Ab 75 Jahren wird es kritisch mit dem Autofahren.“ Dennoch sei verglichen mit der Risikogruppe junger Autofahrer die Gesamtzahl der Unfälle, an denen ältere Autofahrer beteiligt sind, eher gering. „Das Problem mit der Mobilität hat Brandenburg vor allem im ländlichen Raum.“ Dort seien ältere Menschen zwingend auf ihr Auto angewiesen, weil Ärzte oder der nächste Supermarkt zu weit weg sind. Zudem sei das Angebot des öffentlichen Nahverkehrs keine gute Alternative, so Becker. „Senioren bleibt oft nichts anderes übrig, als ins Auto zu steigen.“

Der ADAC-Experte begrüßt zwar den freiwilligen Verzicht auf den Führerschein, Senioren sollten aber nicht zu regelmäßigen Untersuchungen verpflichtet werden. „Es gibt keine Tests, die sichere Aussagen zur Fahrtauglichkeit machen“, so Becker. Unklar sei bisher, was als Grenzwert gelte. „Wer schlecht sieht oder hört, kann dagegen ja was machen.“

Damit Senioren auf ihr Auto verzichten, sollte es mehr Anreize geben. Das fordert jedenfalls Vetter. In zwei Landkreisen bei Nürnberg oder in Ulm bekommen Senioren einen Freifahrtschein für die öffentlichen Verkehrsmittel. „Ich kann ja immerhin mit dem Seniorenticket für 60 Euro bis zur Ostsee fahren“, so Vetter. Seine Nachbarn hätten ihm Fahrdienste angeboten, einen jüngeren Freund hat er nun zu einer Art Chauffeur gemacht. „Und von dem Geld, das ich ohne Auto spare, kann ich auch mal eine Taxe nehmen“, sagt Vetter.

Im mittelmärkischen Landratsamt hat man sich bisher noch keine Gedanken gemacht, wie man mit Vergütungen oder Anreizen Senioren überzeugen kann, das eigene Auto stehen zu lassen. Im Land wird im Rahmen einer Mobilitätsstrategie über neue Konzepte nachgedacht, so Innenministeriumssprecher Steffen Streu. Bei den Überlegungen dürften vor allem ältere Menschen in ausgedünnten und abgelegenen Brandenburger Dörfern nicht vergessen werden.

„Bereits jetzt gibt es in den Kommunen Rufbusse oder Einkaufsbegleitdienste“, sagt Streu. ADAC-Verkehrsexperte Becker schlägt den Aufbau von Mitfahrsystemen vor: „Bürgerbusse und Mitfahrklubs für Senioren können eine Lösung sein.“ Zudem könnten die Sozialdienste mit ihren Fahrdiensten eingebunden werden.

Um Ältere zum Autoverzicht zu bewegen, brauche es oft die Hilfe der Jüngsten: „Wir haben die Erfahrung gemacht, dass ältere Menschen eher auf ihre Enkelkinder als Kinder hören“, sagt Becker. Auch Ulrich Vetter ist gerade Opa geworden – und will noch eine Weile für seine Enkeltochter da sein.

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