Potsdam-Mittelmark: Mädchen, Panzer und das Internet Jakobsmuschel aus Saarmund
Ebay und andere Firmen in Potsdam Mittelmark öffneten sich am „Zukunftstag“ für die Jugend Die ersten drei Pilger wanderten bereits nach Nuthetal. Nun soll eine Herberge ausgebaut werden
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Kleinmachnow - Julias Gesichtsausdruck schwankt zwischen griesgrämig und gelangweilt. Dabei gibt sich Ebay-Mitarbeiter Anestis Tsakiroglou größte Mühe den 52 Mädchen vor ihm zu erzählen, wie toll die Arbeit in dem Internetauktionshaus im Kleinmachnower Euro-Parc Dreilinden ist.
Am bundesweiten „Zukunftstag für Jungen und Mädchen“ sollen vor allem Schülerinnen die Arbeitswelt in Betrieben und Unternehmen kennen lernen – eine Art Kurzpraktikum, das ihnen später bei der Berufswahl helfen soll. Darum waren gestern 79 Schülerinnen und 52 Schüler von der 5. bis zur 12. Klasse aus dem Landkreis Potsdam Mittelmark in neun verschiedenen Firmen unterwegs.
Vom Autohaus bis zum Zahntechniklabor. Selbst der Teltower SPD-Landtagsabgeordnete Jens Klocksin hatte zum Schnuppertag sein Bürgerbüro geöffnet. Laut Arbeitsministerium haben 80 Prozent aller eingeladenen mittelmärkischen Schülerinnen und Schüler daran teilgenommen – rund zehn Prozent mehr als im vergangenen Jahr.
In dem riesigen Computerraum bei Ebay sitzen nur Mädchen, dort heißt der Zukunftstag auch „Girlsday“, also Mädchentag – wie fast überall in Deutschland. Die 13-jährige Julia würde jetzt viel lieber in Teltow im Autohaus König an Motoren schrauben: „Das finde ich geil“, sagt sie.
Doch im Autohaus waren alle Teilnahmeplätze für den Zukunftstag bereits belegt, als sich die Schülerin vom Kleinmachnower Weinberggymnasium mit ihrer Freundin darum beworben hat. Weder dass auf dem Internet-Marktplatz Ebay 2006 insgesamt 8,6 Milliarden Dollar ihren Besitzer gewechselt haben, noch dass jeden Monat 18 Millionen Menschen – fünf Mal soviel wie in Berlin leben – die deutschen Ebay-Seiten besuchen, beeindruckt Julia. Auch nicht der Ebay-eigene Diner, der Basketballplatz oder das Fitnessstudio für die Mitarbeiter: „Das gibt es bei meinem Papa in der Firma auch alles.“
Die zwölfjährige Amne dagegen findet den Zukunftstag in Kleinmachnow spannend. Sozialarbeiterin Annette Reisinger ist mit ihr und drei anderen Mädchen aus Berlin-Kreuzberg nach Kleinmachnow gekommen, damit sie „auch einmal etwas über andere Berufe erfahren als den der Kindergärtnerin“. Sie kennt die Schülerinnen vom Mädchentreff „Xtra“, in dem sie Kinder aus dem Stadtteil betreut.
Amne probiert beherzt die Geräte im Fitnessstudio aus und später die Firmen-Programme am Computer, die ihnen Tsakiroglous Kollegin Füsun Gündüz-Ceylan zeigt. „Viele von uns haben komplizierte Namen“, sagt Gündüz-Ceylan. Auch Amne hat einen, weil ihre Eltern arabisch sind. Ob sie später einmal zu den mehr als 900 Angestellten am Deutschland-Standort des amerikanischen Unternehmens gehören will? Vielleicht, aber eigentlich möchte Amne lieber Kinderärztin werden. Und Julia?
Julia, die die gesamte Veranstaltung betont gleichmütig über sich ergehen lässt, horcht auf einmal auf. 13 Bagger würden jeden Tag über Ebay verkauft, sagt Tsakiroglou gerade. Ob denn auch Panzer bei Ebay versteigert würden, will Julia jetzt von ihm wissen. Denn sie möchte unbedingt zur Bundeswehr: Panzer fahren lernen und eventuell mal einen kaufen.
Von versteigerten Panzern hat Tsakiroglou noch nichts gehört, in Amerika sei über Ebay lediglich schon einmal ein Düsenjet verkauft worden. Aber das macht nichts. Panzerfahren wäre für Julia ohnehin nur ein Hobby. Ihr Berufswunsch: Richterin. J. Wedemeyer
Nuthetal - „Wir sind hier zwar noch nicht in Spanien, aber Saarmund ist bereits an den Jakobsweg angeschlossen“, sagte Pfarrerin Almut Gaedt den Mitgliedern des SPD-Ortsvereins am Mittwoch auf einer Tour durch den Ortsteil. Drei Pilger haben ihn bereits besucht. Im Landkreis Potsdam-Mittelmark verläuft die Pilger-Strecke von Saarmund weiter über Tremsdorf, Kähnsdorf und Schlunkendorf bis nach Beelitz.
Da auf dem östlichen Zipfel des Weges noch dringend Herbergen gebraucht wurden, stand schnell fest: das alte Waschhaus im Pfarrhof wird Pilgerherberge. Vor einigen Wochen entrümpelten sechs Jugendliche des Internationalen Bauordens das kleine Häuschen, in dem es sogar noch ein altes Plumpsklo gibt. Für ein Taschengeld, Kost und Logis helfen Jugendliche aus vielen Ländern im Auftrag des Bauordens freiwillig bei Vorhaben, für die sonst kein Geld zur Verfügung steht. Am Waschhaus entfernten sie auch den alten Putz und legten die Deckenbalken frei. Dabei stellte sich heraus, dass das Holz der Balken schon ziemlich morsch ist und neue eingezogen werden müssen. In den Sommermonaten wollen Konfirmanden helfen, und im Oktober wird eine weitere Gruppe des Bauordens erwartet, um den Ausbau voran zu bringen.
Zwar ist nach wie vor der Weg auf dem traditionellen Camino vom französischen Saint-Jean-Pied-de-Port über Burgos bis zur spanischen Stadt Santiago de Compostela der berühmteste. Aber Recherchen belegen, dass es nicht nur diese Trasse gibt - über ganz Europa verläuft ein spinnenartiges Wegesystem. Auch in Brandenburg gab es vier verschiedene Varianten des Jakobsweges, haben Wissenschaftler und Studenten der Frankfurter Europa-Universität Viadrina recherchiert. Als Beleg gelten auch die Apostelfigur am Portal der Frankfurter Marienkirche und das im Mittelalter gegründete Jakobus-Spital. Polen und Balten nutzten seinerzeit die Handelsstraßen auf ihrem Marsch zum Grab des Apostels Jakobus in Santiago. Die einst aufstrebende Handelsstadt an der Oder war im Mittelalter ein Knotenpunkt für mehrere Pilgerwege.
Nun weist bereits ein Wegführer für Jakobspilger den Ort Saarmund aus, der am Ende eines etwa 25 Kilometer langen Streckenabschnittes liegt und in Berlin-Marienfelde beginnt. Das ist das durchschnittliche Tagespensum der Wanderer auf Sinnsuche. Gaeds freut sich, dass der Weg schon angenommen wird. Zwar ist die Herberge noch nicht bezugsfähig, weshalb vorerst im Pfarrhaus Quartier gewährt wird, wo auch die ersten drei Saarmunder Pilger schliefen. Aber es gibt schon einen Saarmunder Stempel mit der symbolischen Jakobsmuschel, auf der die Ortskirche abgebildet ist. „Jeder Stempel zählt, auch wenn es nur Teilstrecken sind. 200 Kilometer muss jeder gelaufen sein“, sagt die Pfarrerin. Doch die heute asphaltierten Straßen eignen sich nicht mehr zum Wandern, weshalb versucht wurde, neue parallel laufende Wege zu finden, die angenehmer für Fußgänger und Radfahrer sind. Pilgerziel ist die Stadt Magdeburg, die aber auch schon über einen Weg, der von Polen über Görlitz verläuft, an das Wegenetz angebunden ist. Von dort erstrecken sich Pilgerpfade bis nach Süddeutschland.
Noch in diesem Jahr sollen die 150 Kilometer des ostbrandenburger Jakobsweges mit dem typischen Muschelzeichen ausgeschildert werden. Gehofft wird, dass die Pilgerbegeisterung, die die Bestseller von Paulo Coelho und von Hape Kerkeling ausgelöst haben, auch in der Region für touristische Effekte sorgen.
Kirsten Graulich
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