zum Hauptinhalt

KulTOUR: Magere „Gegen-Öffentlichkeit“

„Was ich hörte vom Irak-Krieg“ – 3. Lesung des Kammerspiel-Vereins

Stand:

Kleinmachnow - Alles was recht ist: dumm sind die Herren in Washington nicht, sie wissen genau, was sie tun. Wer Präsident Bush trotzdem für ungebildet hält, konnte sich vergangenen Sonntag bei der dritten Lesung des Kleinmachnower Trägervereins „Kulturhaus Kammerspiele“ in Sachen „res publica“ leicht eines besseren belehren lassen. Da man sich gegenüber dem Eigentümer dieses Hauses „im Exil“ weiß, wurde auch diesmal ein ungewöhnlicher Ort gewählt: Nicht die Kirche, kein Musterhäusle wie die letzten Male, sondern das Heizhaus auf dem Seeberg, einstmals Forschungsstelle des Reichsposttministeriums.

Ein großer, leerer Raum mit abgestützter Decke - genau der richtige Ort, um Eliot Weinbergers längeren Text „Was ich hörte vom Irak im Jahre 2005“ vorzutragen. Regisseur und Autor Ronald Steckel hatte diesen Essay für so wichtig befunden, dass er ihn mit nachdrücklicher Stimme selber las.

Besuch etwa wie beim letzten Mal, viele bekannte Gesichter, doch es gelang dem Veranstalter auch beim Thema „Krieg und Frieden“ nicht, die intellektuellen Potenzen des Ortes zu mobilisieren“, die „Gegen-Öffentlichkeit“. Auf die wollte der US-Publizist mit seinem Essay ja verweisen, auf das „andere Amerika“, auf die Neinsager des Irak-Feldzuges, auf die Stimmenlosen angesichts der allgewaltigen Medien, welche die Hälfte des Krieges bestimmen. Jahrelang hat Weinberger Material aus offiziellen Quellen gesammelt, Fernseh- und Presseberichte ausgewertet und zu einem Text verdichtet, worin er sich mit dem rhetorischen „Ich sah“ oder „Ich hörte“ Authentizität, aber auch Distanz verschafft. Er nennt Namen, zitiert, gibt weiter, was ihm zugetragen wurde – es gibt keinen Grund, diese „Faktenlage“ zu bezweifeln. Fragt sich nur, was man damit macht. Vielleicht ist es falsch, die Welt als „gut“ anzunehmen und die Aufklärung ein weiteres Mal aufklären zu wollen. Der Irak-Feldzug ist längst zur „Geheimsache“ geworden. In Regierungsstellen werden Jahresberichte nicht mehr weitergegeben, Zahlen über getötete Soldaten nicht mehr veröffentlicht, im Fernsehen schrumpfen die Irak-Berichte zugunsten zweitrangiger Themen (Michael Jackson) dramatisch. Und was mitgeteilt wird, hat immer mehr den Geruch von Tendenz und Fälschung. So hörte Weinberger von der Zerstörung eines Rebellen-Lagers mit 80 Toten, doch als Journalisten dies am nächsten Tag nachprüfen wollten, war kein einziger zu finden. Korruption über all in der Army: Während sich Rüstungsbetriebe eine goldene Nase verdienten, käme bei der Truppe nichts an. GI''s müssten sich aus eigener Tasche mit kugelsicheren Westen versorgen, die wenigen gepanzerten Fahrzeuge seien für Offiziere und Gäste reserviert. Verrohung: Der Autor hörte, wie einer zuerst betete, um dann ein Dutzend irakischer Zivilisten zu exekutieren, dem habe er ins Gesicht geschossen, jenem in den Bauch, ein anderer sei erst nach drei langen Tagen gestorben.

So verging einem in der 55-minütigen Lesung wirklich Hören und Sehen. Die res publica steht dabei auf verlorenem Posten: Ein namentlich genannter Berater von Bush sagte ja zu einem Journalisten knallhart: „Wir sind jetzt ein Imperium, wir schaffen eine eigene Realität! Euch bleibt nur, zu beobachten, was wir tun!“ Und sich als machtlose Gegen-Öffentlichkeit „auszutauschen, damit man mit seinen Problemen nicht so alleine ist“, fügte Ronald Steckel später noch hinzu – der allerkleinste gemeinsame Nenner. Gerold Paul

Gerold Paul

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })