KulTOUR: „Man soll ja etwas dabei denken“
Der Galerist Dieter Leßnau stellt in Teltow Werke des Wissenschaftlers Ulrich Mohr aus
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Teltow - Der Teltower Galerist Dieter Leßnau hält das Volk der Mathematiker und Physiker für die „besten Künstler“ überhaupt. Er schätzt deren Weitsicht, ihre Tiefgründigkeit, und führt den Astrophysiker Stephen Hawking als Beispiel an. Der weltweit wohl berühmteste Rollstuhlfahrer hat, so weit bekannt, nie gemalt. Wohl aber ein Kollege der naturwissenschaftlichen Zunft, der inzwischen emeritierte Professor für Materialwissenschaft Ulrich Mohr. Er war ab 1957 am Aufbau der DDR-Halbleiter-Industrie im Raum Teltow führend beteiligt. Ein Mann der Forschung und Entwicklung, dessen innovativen Geist sogar die DDR-Regierung auf ihre Weise honorierte.
Aber das war dem 1935 geborenen Thüringer nicht genug. Seit gut 60 Jahren gibt er sich zugleich der bildenden Kunst hin, der schwarz-weißen Zeichnung zuerst, der Acryl-Malerei seit dann. So entstand ein zweites Lebenswerk parallel, eines aus Kunst, wie so oft bei den Naturwissenschaftlern: So pries der Mathematiker Bertrand Russel einst die kalte und schroffe Schönheit der Mathematik, der kanadische Astrophysiker Hubert Reeves schrieb voller Begeisterung ein recht poetisches Buch über sein Fach. Gute Gesellschaft also für den Künstler in Ulrich Mohr, dessen uvre jetzt in der Teltower Galerie Altstadthof zu sehen ist. Und für ihren Inhaber genauso, Dieter Leßnau kommt ja auch aus dem weitläufigen Fach Naturwissenschaft.
Bildend Künstlerisches als Ausgleich für anstrengende Forschungs- und Entwicklungsprogramme, darin die Struktur von Kristallen eine gewichtige Rolle spielte. Dies findet sich in seinen Federzeichnungen zwar auch hier und da, letztlich aber illustriert Mohr nicht, er schafft, und zwar mit völliger Freiheit vom Kunstmarkt und den Zwängen der Akademien. Manchmal ist das gut, manchmal etwas weniger. Äußerliche Themen sind, neben dem beruflichen Impuls, Umweltschutz und Gesellschaftskritik, wenn er zum Beispiel 2030 alles Land zugepflastert sieht, oder im Hörsaal ein ferngesteuerter Radioapparat den Vorleser ersetzt.
Feine Federzeichnungen, aber auch Acrylbilder zeigen Landschaften, darin Wirklichkeit und Fantasie kaum zu unterscheiden sind. Motive könnten etwas Mikrotechnisches sein, aber auch umweltmäßig gedeutet werden. Manchmal sind auch spitzkegelige Pyramiden darunter – das ist die heilige Geometrie in den Exterieurs – und zwar hier, gleich ums Eck! Alles Rezipientensache: Die interessante und vielschichtige Ausstellung verzichtet explizit auf Bildtitel, nach dem Willen des Künstlers sollen sich die Leute ja „etwas dabei denken“. Stoff ist reichlich da, bei den maskenhaften Gesichtern, die im fantastischen Farbspiel genauso gut gesichtshafte Masken sein können. Bei den eher schlichten Landschaftsbildern, denen man, stets auf der Suche nach Allegorien, ihre Natur kaum noch glaubt. Ob Mohr wohl etwas „hinter“ der blühenden Heide versteckt? Bunte Farbgitter erinnern an Piet Mondrian, mehrfarbige Interferenzen irgendwie an Interferenzen. So ganz wird man seine Bestallung also doch nicht los, auch wenn der Mond hier ein Vierzipfler ist.
In dieser Schau ungezählter Bilder gibt es weder Chronologie noch eine Hängung nach Genres oder Techniken. Eines neben dem anderen, der Betrachter wird es schon richten! Das sollte er auch, und zwar in völliger Freiheit, so frei, wie Ulrich Mohr es mit seinen künstlerischen Intentionen hält: unabhängig, privat – und einfach so kunstverliebt. Gerold Paul
Die Ausstellung in der Potsdamer Straße 74 ist bis 2. April mittwochs von 14 bis 18 Uhr und nach Vereinbarung geöffnet
Gerold Paul
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