
© Andreas Klaer
Potsdam-Mittelmark: „Man tut, was man für richtig hält“
Die Jüdin Ruth Weiss berichtet Zwölftklässlern im Humboldt-Gymnasium über den Alltag in der Apartheid und ihr politisches Engagement
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Als in Südafrika die Apartheid 1994 zu Ende ging, war Sarah Baur noch nicht auf der Welt. Und doch verbindet sie etwas mit der 88-jährigen Dame, die neben ihr im Geschichtsunterricht vor den Zwölftklässlern sitzt. Beide erlebten selbst die Rassentrennung in Südafrika: Die Politaktivistin und Journalistin Ruth Weiss floh als Jüdin 1936 nach Südafrika und erfuhr die Anfänge der Apartheid bis in die 60er Jahre. Baur spürte noch „die Reste“, wie sie sagt, des Rassismus während ihres Schuljahres in Kapstadt - fast 18 Jahre nach dem offiziellen Ende. „Wenn man heute durch die Townships fährt, wo die Armen wohnen“, sagt die junge Frau, „ sieht man nur Schwarze. Das ist umso bedrückender, wenn man über die Hintergründe und die Geschichte weiß.“
Eigentlich steht der Holocaust in diesem Jahr auf dem Lehrplan für die Schüler der 12. Klasse des Humboldt-Gymnasiums. Am Dienstag aber ist Ruth Weiss zu Gast, um von ihrem Leben in Südafrika zu erzählen. „Es ist ein anderer Zugang zu dem Thema Nationalsozialmus und eine Erweiterung“, sagt die Lehrerin Andrea Rauch, die zugleich Landeskoordinatorin für „Schulen ohne Rassismus“ ist.
Weiss erweist sich als Glücksfall für die Geschichtsstunde. Denn sie kann aus dem Alltag von zwei Diktaturen erzählen - im ruhigen Ton der Lebenserfahrenen. In ihrer Kindheit hat Weiss als einzige Jüdin in einer Dorfschule im SA-affinen Franken selbst oft Ausgrenzung erlebt:„Das war ein Glück“, sagt sie heute. Denn so plante die Familie bald, zu Verwandten nach Südafrika auszuwandern. Auf der Seereise kam sie erstmals in Kontakt zu afrikanischen Kindern. „Wir kannten plötzlich Schwarze.“ Aber auch in Südafrika erlebte sie Rassismus - nun aus anderer Perspektive: Während in Deutschland die Kinder nicht mit ihr spielen durften, durfte sie jetzt nicht mit Schwarzen spielen. Diese frühen Kindheitserfahrungen der Diskriminierung sollten ihr Leben bestimmen.
Ruth Weiss engagierte sich seit den 50er Jahren zusammen mit ihrem Mann, dem Journalistin Hans Weiss, als Aktivistin in der Anti-Apartheid Bewegung. Später schrieb sie als Korrespondentin für eine südafrikanische Zeitung aus Südrhodesien, dem heutigen Simbabwe, ebenfalls gegen den Rassismus an. Aufgrund ihrer Artikel wurde sie aus dem Land ausgewiesen und auch die Einreise nach Südafrika wurde ihr verwehrt.
„Mussten Sie nicht immer Angst haben?“, fragt Sarah Baur, die die Veranstaltung mit ihrem Mitschüler Quang Nguyen moderiert. „Man lebt mit der Angst“, sagt Weiss. „Aber man tut, was man für richtig hält.“ Auf Abhöraktionen und plötzliche Besuche der Geheimpolizei war sie trotzdem jederzeit eingestellt. Der Vergleich mit der Stasi in der DDR drängt sich auf und sofort fragt auch eine Schülerin danach: „Das haben die Diktaturen an sich“, antwortet Weiss. „Die brauchen diese Geheimpolizei.“
Weiss ging in den 70er Jahren nach England, um für den „Guardian“ zu schreiben, und kehrte später nach Deutschland zurück. 2005 wurde sie für ihr Engagement für den Friedensnobelpreis nominiert. Heute lebt die Schriftstellerin im Münsterland. Ihre Rolle als Autorin unter einer Diktatur beschäftigt sie noch heute - vor allem im Vergleich zu ihrer Altersgenossin und Literaturnobelpreisträgerin Nadine Gordimer. „Ich gehörte zu denen, die fanden, dass sie mehr im Ausland bewirken können“, erzählt sie. Zum Glück seien Apartheid und Nazizeit vorbei, sagt Weiss. Die Ablehnung von Menschen unterschiedlichster Religion und Nationalität aber gebe es nach wie vor in jeder Gesellschaft. „Mein Versuch ist zu zeigen, dass die Gesetze der Nazis im Grunde nicht anders waren als in Südafrika.“
Anschließend liest Weiss aus ihrem Buch „Meine Schwester Sara“ über ein jüdisches Adoptivkind in einer Buren-Familie. Nach der Lesung lassen die Schüler gar nicht erst die oft übliche Pause entstehen, wenn sie nach ihrer Meinung befragt werden. Einer reger Austausch beginnt, bei dem sie wie Integrationspolitiker wirken. „Die Schule hat einen ganz großen Auftrag“, sagt einer. „Vielleicht ist Schule schon zu spät“, reagiert ein anderer. Weiss ist von den Schülern ganz angetan. „Die waren doch ganz brav“, kommentiert die alte Dame die Stunde. G. Weirauch
G. Weirauch
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