Von Henry Klix: Marmelade und Waschmaschinen
Beim Werderaner Wirtschaftstag „Wirtschaft trifft Schule“ wurde die Ausbildungs-Vielfalt in der Region vorgestellt
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Werder (Havel) - 350 Berufe kann man in Deutschland erlernen, doch nach Erhebungen der Uni Potsdam haben die Hälfte der Mädchen und Jungen nur zehn Lehrausbildungen im Sinn, wenn sie über ihre Zukunft nachdenken. Dass sich junge Menschen für ein anderes Bundesland entscheiden, hat aus Sicht von Werders 1. Beigeordnetem Hartmut Schröder (CDU) auch damit zu tun, dass sie die die Möglichkeiten in ihrer eigenen Stadt nicht richtig kennen.
In der Carl-von-Ossietzky-Oberschule in Werder wird deshalb im kommenden Schuljahr mit einem Berufsorientierungsprogramm begonnen. Kooperationsverträge mit zwölf Werderaner Unternehmen wurden abgeschlossen, bei Betriebsbesichtigungen und Praktika sollen den Oberschülern Berufsbilder erklärt werden – und was für eine Lehrstelle mitzubringen ist. Die Schule will ihrerseits ihre Schüler für Praktika je nach Eignung gezielt empfehlen, sie sollen gut vorbereitet in die Unternehmen kommen. Das Programm wird von der Uni Potsdam wissenschaftlich begleitet. Es soll ausgewertet werden, ob zum Beispiel die Lehrabbrecherquote von 14 Prozent durch die Orientierungshilfen sinkt.
Schulleiterin Iris Gerloff stellte das Vorhaben gestern auf dem 7. Werderaner Wirtschaftstag vor, der unter dem Motto „Wirtschaft trifft Schule“ stand. Wie bunt die Wirtschaftswelt in Werder ist, wurde am Vormittag bei den Fachvorträgen und am Nachmittag beim Tag der Offenen Tür deutlich, an dem sich 18 Unternehmen beteiligten. Auch das Schaltgerätewerk war darunter, vier Lehrlinge nimmt es jährlich auf, vor allem Schweißer. Und pro Jahr lernen bis zu 20 Praktikanten die Firma kennen, die vor allem Baugruppen für Schienenfahrzeuge herstellt. Personalleiter Michael Ludwig hat gute Erfahrungen mit der Ausbildung von Leuten gemacht, die er vorher kennenlernen konnte. „Manche Schüler packen es einfach nicht mit den Schulnoten, sind aber trotzdem gute Praktiker.“
Deshalb hat auch er einen Kooperationsvertrag mit der Oberschule abgeschlossen – und will das auch mit der Freien Schule tun. Für Manfred Kleinert vom Obstgut Marquardt sind solche Kooperationen seit langem vertraut, doch als er nach der Wende nach DDR-Vorbild einen „Patenschaftsvertrag“ mit einer Schule abschließen wollte, sei er jahrelang beim zuständigen Minister abgeblitzt. „Wir haben viel Zeit mit solchen Diskussionen verpennt.“
Den rund 200 Vormittagsgästen aus Schule und Wirtschaft wurde durch Hans-Ulrich Endreß von „Herbstreith & Fox“ näher gebracht, was die „Wandablösung“ von Marmelade mit dem Verersterungsgrad von Pektin zu tun hat. Vier Lehrplätze vergibt das Unternehmen in Werder jedes Jahr – Chemielaborant, Industriekaufmann oder Industriemechaniker kann man in der Pektinfabrik werden. Vielleicht haben hier auch die „biologisch-technischen Assistenten“ eine Chance – ein Ausbildungsberuf, den zwei Lehrlinge des Oberstufenzentrums Werder vorstellten. Die Jobaussichten sind dank boomender Biotech-Branche so oder so hervorragend – und wenn man den Aussagen der Eleven glaubt, nach dem Lehrabschluss auch die Löhne.
Von Miele-Vetriebsleiter Ralf Makowski war derweil zu erfahren, dass Miele-Waschmaschinen mit 10 000 Betriebsstunden auf eine doppelt so lange Lebenszeit ausgelegt sind wie Konkurrenzprodukte. Das Vertriebs- und Servicezentrum Werder könnte neben drei Kaufmannslehrlingen ebenso viele Hausgerätetechniker ausbilden, doch der DDR-Beruf existiert zu seinem Bedauern nicht mehr – und alle Bemühungen, ihn wieder einzuführen, scheiterten. An anderen Miele-Standorten werden derweil auch technische Berufe ausgebildet. Makowski machte deutlich, dass von den Bewerbern viel erwartet wird: Abitur, Sprachkenntnisse und Flexibilität beim Arbeitsort sind bei dem Familienunternehmen mit sechs Werken in Deutschland, zwei in Tschechien und Österreich sowie weltweiten Vertriebsstandorten ein Muss. Die Firmenphilosophie geht auf, die Zahlen stimmen – und das, obwohl den Mitarbeitern hier Tarif gezahlt wird.
Solche Aussagen ließen anwesende Schüler aufhorchen. Christian Engelmann, der am Oberstufenzentrum gerade sein Wirtschaftsabi macht, will es mal bei Miele versuchen. „Das hört sich nicht schlecht an.“ Und dass ihn die Ausbildung in andere Ecken der Welt führen könnte, kommt ihm gelegen.
David Wachsmuth von der Werderaner Medienproduktion „Mar Vista“ erzählte, wie er sich nach seinem Abi in der Welt umgeschaut hat, bevor er nach Werder zurückkehrte und hier die Firma gründete. Veranstaltungsmoderator Hagen Ludwig, Leiter der PNN-Umlandredaktion, plädierte in seinem Fazit denn auch dafür, junge Leute, die hier nicht fündig werden, von der Leine zu lassen, darauf zu setzen, dass Einige mit wichtigen Erfahrungen zurückkehren und die Region bereichern. „Ideal wäre, wenn Werder im Gegenzug junge Leute aus ganz Europa anziehen würde“, so Ludwig. Bis dahin stehen der Stadt – bei all ihren Erfolgen – noch ein paar Wirtschaftstage bevor.
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