KulTOUR: Medusen im Flur
Werders Stadtgalerie „Kunstgeschoss“ widmet sich in neuester Schau der Textilkunst in der Region
Stand:
Von Gerold Paul
Werder (Havel) - Irgendwie war diese Vernissage in Werders „Kunst-Geschoss“ nicht so wie sonst. Es „grummelte“ am Donnerstag einfach ganz anders, auch sah man viel mehr Frauen als je zuvor. Kunst-Stück! Es ging ja auch um eine Exposition zu Textilgestaltung und Kunsthandwerk im erweiterten Areal der Stadt.
Nachdem Kurator Frank Weber und die Stadt vermittels der Presse zum Sammeln geblasen hatten, standen die Telefone nicht mehr still. Wie schon vor zwei Jahren im Bereich Malerei und Grafik, so wollte auch bei dieser „Bestandsaufnahme“ möglichst jeder und jede dabei sein, aber die verständlichen Wünsche aus Potsdam konnte und mochte Werder natürlich nicht stillen, da müssen schon andere ran. Schon die „eigenen“ Bewerbungen zwischen Geltow, Petzow und Töplitz boten mehr, als man hätte zeigen können. Für Weber und die Ko-Kuratorin Eva Kowalski war es also unumgänglich, sich von mancher Offerte wieder zu trennen, aber fünfundzwanzig Glückliche, das sind auch nicht gerade wenig!
Ganz demonstrativ geschah die Vernissage unter den fachkundigen Augen der Geltower Handweberin Henni Jaensch-Zeymer. Das „Kunst-Geschoss“ gedachte ihrer ungefähr so, wie man früher Karl Hagemeister „eine besondere Ecke“ des Ausstellungsraumes geweiht hatte. So setzt man sich Maßstäbe, auch für die nächsten Bestandsaufnahmen.
Bürgermeister Werner Große war in seinem Grußwort fast von den Socken, wie reichhaltig Kunsthandwerk und textiles Schaffen in seinem Hoheitsgebiet ausgebreitet sind. Die Kenntnisnahme eines „eigenen Klöppelzirkels“ war dann der Gipfel, an Freude. Ganz ähnlich angetan schien Frank Weber zu sein, obwohl er doch ein Maler ist. Sein Ideenreichtum, seine Gestaltungsfreude machen auch diese Schau zu einem Ereignis, selbst wenn die heißen Drähte zum Thema fehlten. Er wäre zudem kein wirklich „Konzeptioneller“ wenn er (jeweils sonnabends) nicht wieder ein Rahmenprogramm anbieten würde, Demos zum Sticken, Klöppeln und Weben. Den uralten Handwebstuhl hat der Werkkunstverein „Orphée“ ausgeliehen.
Wie immer auch, die strikte Konzentration auf die eigenen Gefilde und die Zuverlässigkeit seiner Bestandsaufnahmen im Zweijahresrhythmus machen diese Schau tatsächlich zu einem erstrangigem Stadtereignis; dass Frank Weber ein Genie in Sachen Ausstellungsgestaltung ist, muss man ja nicht dauernd wiederholen.
Schon im Treppenflur begrüßen Medusen jeden Besucher, bunte, Ehrfurcht gebietende Wesen von einiger Größe. Einige sind gerade dabei, kleine Zappelmädchen zu entführen – was für ein Entree! Drinnen ist alles auf Höhe ausgerichtet, damit die Quilts, das sind einfache und verwickelte Stepp-Arbeiten, aber auch Patchwork- Arbeiten, Applikationen, Wandbehänge, Stoffdrucke, Seidenmalereien, alles, was die Zier der Wände braucht, auch effektvoll gezeigt werden können. Auf Augenhöhe selbstentworfene Mode aus Wolltuch, eine Wäscheleine voller Socken Marke Eigenbau, daneben „maschinengeführte Frottierstickereien“ (jede Zunft hat eben ihre eigene Sprache) auf Handtüchern. Gardinen, Tischläufer, Schals. Man entdeckt eine Tischdecke wie aus Omas Wäschetruhe, ein selbstgebautes Kinderbett, die betont konventionelle Verewigung eines offenbar besonders wichtigen Segelschiffes im Stoff. Erfreulicherweise sind auch räumliche Gestaltungen wie die gefilzten Äpfel am Ast, oder eine poppige Libelle berücksichtigt, das gehört zu Kunst- und anderem Handwerk genauso dazu, wie Schmuck, Glasdesigne und Kleinkeramik. Die filigranen Klöppeleien (teils mit Silberdraht) und die Mützchen für Neugeborene in den Ländern der südlichen Armut gehörten eigentlich ganz vornan.
Materialsatt, bunt und phantasievoll tritt die Ausstellung dem Besucher entgegen. Liebe zur Sache, Freude am Gestalten und an der Präsentation ihrer Hand-Arbeiten verbinden ihre Repräsentanten. Hingehen, selber schauen, die Medusen werden einen ja nicht gleich fressen. Es könnten ja auch Wächter sein, Wächter der Tradition, die hier gemeint ist.
Ausstellung bis 9. Januar 2011, geöffnet Donnerstag, Samstag und Sonntag von 13 bis 18 Uhr, Uferstraße 10. Rahmenproramm unter www.kunst-geschoss.de
Gerold Paul
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