KulTOUR: Michendorfer Mietskasernen-Pastorale
Theater vor Ort zeigt mit „Tratsch im Treppenhaus“ letztes Stück unter der Ägide von Siegfried Patzer
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Michendorf - Ob man nun eine Inszenierung erarbeitet, die Intendanz wechselt oder en suite einfach eine Vorstellung zeigt: Letztlich ist doch alles nur Theater auf der großen Bühne der Welt, vergänglich in seinem Sein, dauerhaft wie ein Gleichnis. So steht es zuletzt im „Faust“ geschrieben, und es ist wahr. Das 1960 in Flensburg uraufgeführte Stück „Tratsch im Treppenhaus“ hat nur ganz wenig von Goethes Meisterwerk, dafür erzählt es am Michendorfer „Theater vor Ort“ viel von der jetzigen Zeit, und damit, retour, auch wieder viel vom Zustand des Theaters.
Was musste dieses kleine Stück in seiner Einfalt nicht alles über sich ergehen lassen! So hat man die niederdeutsche Urfassung ins Hochdeutsche übertragen, es mehrfach bearbeitet und auch das Genre getauscht: Ist es nun Schwank oder Posse, und weiß überhaupt noch jemand etwas mit Worten wie Volkstheater und Volksstück anzufangen? Für die von Siegfried Patzer 2010 gegründete Bühne war das hin und wieder ein Problem.
Wie dem auch sei, „Tratsch im Treppenhaus“ ist Astrid Straßburgers letzte Inszenierung unter Patzers Ägide, ab Januar soll sich mit neuer Intendanz einiges ändern. Geschrieben wurde es von Jens Exler und Silke Keim als uriger Schwank, Florian Battermann hat den „Sluderkraam“ zum „Volksstück“ umgeschmiedet. Darin geht es um eine Mietskaserne, in der Leute tratschen, lieben und zanken, um zuletzt in einer idyllischen Wohngemeinschaft zu enden. Da ist jeder Konflikt vergessen, da hat plötzlich jeder den anderen ganz lieb.
Nun gehört zum Theater nicht nur ganz viel Schauspielkunst und Regiegeist, sondern auch Dramaturgie, das heißt, die stückgesteuerte Lenkung der Handlung, aufgeteilt in Pro- und in Antagonisten, sonst wird das nichts. War hier etwa die intrigante Tratsche Boldt (Anna Haack) die „Führungsfigur“ dieser volkstümlichen Inszenierung, oder die fleißige Witwe Knoop (Aloisia Zöller), die sich so sorgsam um den pensionierten Herrn Brummer (Bernd Raucamp) kümmert? Eigentlich sollte es doch der schnaufige Tramsen Thomas Kornmann sein, Fleischer und Eigentümer dieser Mietskaserne, wovon man auf der Kulissenbühne nur einen fünftürigen Treppenflur sieht. Kein Fleck an der Wand, dabei haben doch alle kaum Geld.
Die Hausregeln aber waren streng, besonders was illegale Untervermietung und späten Damenbesuch betraf, um 1960. Davon konnten Brummers Neffe (Gianni von Weitershausen) und Mareike Jaeger (Silke) ein Liedlein singen, nicht nur beim Karnickelzüchterball. Hübsch, wie ihr alle schöne Augen machen, die Profi-Schauspieler holen so einiges aus sich heraus. Freilich hätte sich aus diesem „Volksstück“ mehr als nur etwas „-tümliches“ machen lassen. Jede Posse lässt sich auf Tieferes ein, so man’s versteht. Beim Vater-Tochter-Generationenkonflikt, oder bei Tramsen, der zwischen Miethai und Herzmann zu kämpfen hätte. Warum der plötzliche Verzicht auf die Untermieterklausel, und worum geht es hier überhaupt? Um Sehnsucht und Liebe, um Tratsch, um zahnlose Zeitsatire? Eigentlich eher um nix.
Neben Wortwitz und Situationskomik findet man noch etwas: Weil ein Protagonist fehlt, muss das Publikum alle Figuren auf gleicher Höhe rezipieren, was sehr ermüdend ist, zumal die Regie ihr bestes Pulver zu früh verschießt. Horizontalen statt Tiefe, dafür sehr volksnah. So entsteht eine Mietskasernen-Pastorale, ein Märchen mit unwahrem Schluss – Theater eben, was für ein Gleichnis! Gerold Paul
Nächste Aufführungen: 28. Oktober um 19.30 Uhr, 30. Oktober um 17 Uhr
Gerold Paul
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