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Potsdam-Mittelmark: Minister, Widerständler, Namensgeber

Der Adolf-Grimme-Ring umschließt das neue Ortszentrum / Peter Grimme erzählt aus den Kleinmachnower Jahren der Familie

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Der Adolf-Grimme-Ring umschließt das neue Ortszentrum / Peter Grimme erzählt aus den Kleinmachnower Jahren der Familie Von Kirsten Graulich Kleinmachnow. Auf Anordnung mussten im Dritten Reich alle Häuser im Ort zu bestimmten Feiertagen beflaggt werden. „Die kleinste Fahne, die es gab und die mein Vater stets Lappen nannte, hisste er aus dem Klofenster“, erinnert sich Peter Grimme an seine Kindheit in Kleinmachnow. Sein Vater war Adolf Grimme, bis 1933 preußischer Kultusminister, der nach Machtübernahme der Nationalsozialisten mit Widerständlern der „Roten Kapelle“ gegen das Dritte Reich kämpfte. Bis zu seiner Verhaftung durch die Nazis lebte er in Kleinmachnow. Die Familie zog 1930 in das Haus im Langendreesch 5b, das der befreundete Architekt Max Taut entworfen hatte. Ungefähr 3000 Häuser gab es damals im Ort, die meisten standen im hinteren Grundstücksbereich, erzählt Peter Grimme. Zu jener Zeit war sein Vater mit 35 Jahren der jüngste Minister im Kabinett Braun-Severing, zum Landtag fuhr er immer mit der Stammbahn. Der Vater hatte aber auch einen Dienstwagen, einen „Horch 8“, nebst Chauffeur in Uniform. Vor jeder Dienstfahrt wurde ein weißer Wimpel mit preußischem Adler vorn auf dem Wagen platziert. Zum Bedauern seiner Kinder nutzte der Minister den Wagen nur dienstlich, erlaubte ihnen aber manchmal, ein Stück mitzufahren. Einige Male auch bis zur Schule. „Während es meine Schwester genoss, beim Aussteigen von Mitschülerinnen gesehen zu werden, war mir das eher peinlich, und deshalb stieg ich immer 100 Meter vor der Schule aus“. Einmal durften die Kinder den Vater zu einem Treff in die Schorfheide begleiten. Es war Mai und vor dem Jagdhaus fanden sie jede Menge Maikäfer. Große Reisen unternahm die Familie mit dem Zug, die Fahrräder im Gepäckwagen. Im Allgäu und Taunus sind sie gewandert, am Rhein haben sie gezeltet. „Dort waren die Mücken eine Plage, und Vater versuchte sie mit Rauchen zu vertreiben, hat aber wenig genützt.“ Adolf Grimme war passionierter Pfeifenraucher und besaß sieben verschiedene Pfeifenmodelle, darunter eine halblange Pfeife, die den Sohn sehr beeindruckte. Er besitzt noch Fotos, auf denen der Vater, die Pfeife im Mundwinkel, forsch in die Kamera schaut. Streng war der Vater, sagt der Sohn, auch das Wort „Übervater“ fällt im Gespräch. „Ich traute mich gar nicht zu opponieren“, gesteht er – und wurde wunschgemäß Lehrer. Der Vater hatte ihm dazu geraten, obwohl der Sohn lieber Bankkaufmann geworden wäre. Auch an vormilitärischen Spielen der Hitler-Jugend nahm der Sohn teil, weil der Vater meinte: „Einer aus unserer Familie muss sich opfern.“ Im Birkenwäldchen, wo die Jungen gedrillt wurden, verhöhnte ihn der Bürgermeister: „Du hast wohl Hemmungen?“ Peter Grimme hätte das vielleicht ertragen können, wäre dieser Bürgermeister Engelbrecht nicht der Nachbar der Familie gewesen. „Teufel“, nannte Adolf Grimme den Mann, der in Braunhemd und Brigdehosen nebenan Rasen mähte. Der Vater blieb dann lieber im Haus, als dessen Gegenwart ertragen zu müssen. Er ließ schließlich eine Mauer errichten, ein Rest von sechs Metern blieb jedoch frei und davor pflanzte er drei Pfirsichbäume. Es war damals eine sehr angespannte Situation, aber auch eine interessante Zeit. Peter Grimme erinnert sich an viele Besucher im Haus seines Vaters. Arvid Harnack, Adolf Reichwein, Walter Schreiber und Adam Kuckhoff, alle Mitglieder der „Roten Kapelle“, gehörten dazu. Der Schriftsteller Kuckhoff war ein Jugendfreund des Vaters und beeindruckte die Kinder durch einen Handstand im Wohnzimmer. „Er war öfter bei uns und hat mir Schachspielen beigebracht.“ Die Mutter war Malerin, einige Bilder fand der Sohn vor Jahren auf dem Dachboden des Elternhauses wieder. Wenn die Männer sich trafen, ging die Mutter meist in die Küche. So hatte es ihr der Vater geraten. Als im Jahr 1942 Mitglieder der „Roten Kapelle“ verhaftet wurden, darunter auch das Ehepaar Grimme, half es ihr, nichts zu wissen. Rechtzeitig vor der Hausdurchsuchung hatte sie noch Entwürfe für Flugblätter verbrannt. Das rettete den Vater vor der Todesstrafe und so wurde das Urteil auf drei Jahre Zuchthaus abgemildert, wegen „Nichtanzeige eines Vorhabens des Hochverrats“. Die Mutter kam nach einem halben Jahr ohne Prozess frei. Peter Grimme war zu jener Zeit bereits an der Front als Funker und spürte schnell, dass auch er beobachtet wurde, wie ihm später ein Kamerad bestätigte. Seinen Vater durfte er einmal 1943 im Zuchthaus Luckau besuchen. Hohlwangig sah er aus, weiß der Sohn noch, der ihm damals augenzwinkernd mitteilte: „Wir werden bald den Endsieg erleben.“ Der Vater verstand, was sich hinter der Nachricht verbarg, denn auch durch dicke Zuchthausmauern drang die Kunde vom Näherrücken der Front. In der Nachbarzelle saß Günter Weißenborn und beide tauschten Informationen durch Klopfzeichen aus. Nach Kriegsende erfuhr der Sohn in Norwegen, dass sein Vater entlassen worden war. „Und da wusste ich, dass ich bald nach Hause gehen kann.“ Adolf Grimme wurde nach dem Krieg Kultusminister von Niedersachsen, später Generaldirektor des Nordwestdeutschen Rundfunks, wo er Qualitätsstandards für das deutsche Fernsehen setzte. Im Urlaub besuchte ihn der Sohn regelmäßig mit seiner jungen Frau Renate in Degerndorf. „Besonders abends auf der Terrasse war es schön, wenn er uns Gedichte vorlas“, erinnert sie sich. Das Haus in Kleinmachnow haben beide 1952 heimlich besucht. Im Grenzzaun war ein Loch und „die Streife weit genug entfernt, da sind wir von Zehlendorf schnell über den Acker rüber“. Das Haus war leer, kurz zuvor war die Mutter nach Westberlin geflüchtet. Als der Vater 1963 starb, wurde er in Hannover beerdigt, weil er oft gesagt hatte, seine schönste Zeit sei die als Kultusminister in Hannover gewesen. Wenn heute Grimme-Preisträger ernannt werden, ist das Ehepaar stolz auf den Vater, denn der Preis gilt als eine der renommiertesten Auszeichnungen für Qualitätsfernsehen. Zum 25-jährigen Jubiläum wurde auch der Sohn des TV-Pioniers eingeladen. Gefreut hat sich das Ehepaar Grimme auch über den Adolf-Grimme-Ring in Kleinmachnow. „Leider hat uns niemand zur Einweihung der Straße eingeladen, obwohl wir im Nachbarort Zehlendorf wohnen.“ Auch nachdem die Gemeinde davon erfuhr, kam keine Reaktion. Das hat sie sehr verstimmt, denn so richtig erklären können sie sich die Ignoranz nicht, trotzdem wollen sie sich morgen die Eröffnung des neuen Ortszentrums mit dem Adolf-Grimme-Ring anschauen.

Kirsten Graulich

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