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Potsdam-Mittelmark: Mit Blaulicht an die Gleise

Frank Krahnert ist Notfallmanager der Bahn in Neuseddin. Zwei große Einsätze in diesem Jahr werden ihm in Erinnerung bleiben

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Frank Krahnert ist Notfallmanager der Bahn in Neuseddin. Zwei große Einsätze in diesem Jahr werden ihm in Erinnerung bleiben Von Henry Klix Seddiner See - Was ein Marder in den Oberleitungen der Bahngleise sucht, wird Frank Krahnert immer ein Rätsel bleiben. Für das arme Tier bekam der Himmelfahrtstag seine tiefere Bedeutung. Warum von dem Räuber nur noch ein paar versengte Fellfetzen übrig blieben, als er bei 15000 Volt mit Vorder- und Hinterpfoten die Isolierung überbrückte, weiß Krahnert recht gut. Seit fast 20 Jahren wird er in Neuseddin als Notfallmanager bei der Bahn eingesetzt. Tiere, vor allem Vögel, in den Oberleitungen gehören zu seinen klassischen Einsatzfeldern. Die fünf Bezirksleiter der DB Netz in Neuseddin teilen sich die jeweils siebentägigen Notfalldienste. Manche Wochen verlaufen bis auf ein paar verschmorte Krähen, die unvorsichtig ihre Flügel ausgebreitet haben, recht ruhig. An stürmischen Tagen, wenn Bäume und Äste auf die Energiestränge des Schienennetzes einschlagen, haben die Bahningenieure allerdings alle Hände voll zu tun. Dieses Jahr, meint Krahnert, wird ihnen ohnedies in Erinnerung bleiben: Erst der Gefahrgutwaggon, der im Februar auf dem Cargo-Bahnhof in Neuseddin aus den Gleisen kippte. Und dann die Entgleisung der Regionalbahnzugs zwischen Golm und Sanssouci im April (PNN berichteten). Seddin ist einer von 20 Notfallbezirken in Berlin-Brandenburg – zwischen Wiesenburg, Werder, und Luckenwalde erstreckt sich die Zuständigkeit. Krahnert zeigt auf dicht beschriebene Protokolle, um darzustellen, wie reibungslos das Notfallmanagement der Bahn funktioniert. Ob vor einigen Jahren in Brück, als ein Auto die geschlossene Halbschranke überfuhr und vom IC erfasst wurde. Ob am 7. Juni in Belzig, als eine Sturmböe einen Ast auf die Oberleitung schleuderte. Oder ob im Fall der Zugentgleisung im April. Das Drehgestell des Triebwagens war kurz hinter einer Weiche aus dem Gleis gesprungen. Der Zugführer informierte die Notfallleitstelle, die den Notfallmanager, die Rettungskräfte und die Behörden in Kenntnis setzte. Nach wenigen Minuten waren die Gleise total gesperrt, der Strom der Oberleitungen abgestellt. Binnen einer viertel Stunde war der Notfallmanager mit Blaulicht vor Ort. Mit einem Hilfszug wurde der Zug hydraulisch wieder aufs Gleis gehoben. Die Bahn hat eingeräumt, dass die Information der Passagiere nicht ganz reibungslos verlief – das Zugbegleiter in einem solchen Fall wie Stewardessen in einem Flugnotfall funktionieren müssen, ist noch nicht ganz im Bewusstsein der Mitarbeiter. „Es bestand aber zu keiner Zeit eine Gefahr für einen der ausgestiegenen Fahrgäste“, betont Krahnert – aus seiner Sicht nicht selbstverständliches, denn auf dem Streckennetz kann einiges passieren, wenn nicht vorgesorgt wird. Von der Öffentlichkeit unbemerkt nehmen die Notfallmanager Fälle wie diesen in die Hand, schalten vor dem Einsatz der Rettungskräfte und des technischen Personals Gefahren aus, die für den Nichtfachmann nicht ohne weiteres erkennbar sind, und sorgen zugleich dafür, dass im Zugverkehr so wenig wie möglich Beeinträchtigungen entstehen. Die Strom führenden Oberleitungen als Schlagadern des Bahnnetzes haben die Fachleute dabei besonders im Blick. Besonders gefährlich wird es, wenn nach einem Kurzschluss Leitungen herunterhängen oder ein Rohrausleger bricht, wie beim Marder-Notfall am Himmelfahrtstag. „Selbst bei 1,50 Meter Abstand kann es zu einem Überschlag kommen, wenn es eine entsprechende Luftfeuchtigkeit gibt“, weiß Krahnert. Ein Schlag an der Steckdose wäre ein schwacher Abklang von dem, was dann passieren kann. Es reiche auch nicht aus, den betreffenden Abschnitt vom Netz zu nehmen – er muss danach auch geerdet werden. „Die verbleibende Induktionsspannung reicht, um Leben zu vernichten“, so der Experte. Mit abenteuerlich wirkenden Konstruktionen aus Klemmen und Kabeln, die im Kofferraum eines Landrovers verpackt sind, wird die Oberleitung mit den Schienen verbunden – nicht ganz ungefährlich für die Ausführenden, die deshalb mit größter Vorsicht zu Werke gehen müssen. Auch im Fall des umgekippten Gefahrgutwaggons habe man die Lage im Griff behalten, blickt Krahnert zurück: Ein Kesselwagen mit 87 Tonnen Schwefeldioxid war bei einem Rangiermanöver außer Kontrolle geraten, weil ein Sicherheitshemmschuh auf den Schienen fehlten. Ein ausfahrender Güterzug streifte den Waggon, der sich daraufhin schräg stellte. „Der Unfallort war auf der Waldseite, nicht auf der Siedlungsseite des Bahnhofes“, atmet Krahnert heute noch durch. Nachdem sich die Feuerwehr mit Schutzanzügen überzeugt hatte, dass der Kessel nicht leckte, wurde er mit dicken Bohlen abgestützt. Die Fahrleitungen in dem Bereich wurden völlig zurückgebaut. Ein 150-Tonnen-Kran musste herbeigeschafft werden, um den Waggon 20 Stunden nach dem Unfall wieder aufs Gleis zu heben. Das Gebiet war weiträumig abgesperrt. „Aber selbst, wenn der Waggon gekippt wäre, wäre er kaum Leck geschlagen“, ist Krahnert von deutscher Sicherheitstechnik überzeugt: Mit dicker Sicherheitskappe geschützte Ventile an der Oberseite des Kessels und vor allem die Doppelwandigkeit böten guten Schutz. Vom Streifen des Zuges hat der Kessel nur einen Kratzer abbekommen – vergleichbar mit dem eines Einparkunfalls. „Auch wenn der Kessel ohne Fahrgestell über die Gleise rutscht, kann er das eine Zeit lang aushalten“, meint Krahnert. Der Notfallmanager macht drei Kreuze, dass bei Einsätzen wie diesen nur selten Menschen zu Schaden gekommen sind. Es sei denn, sie haben es nicht anders gewollt: Selbstmorde wie der eines 22-jährigen Potsdamers im Dezember vergangenen Jahres am Bahnhof Rehbrücke gehören zu den Einsätzen, an die sich Krahnert ungern erinnert. Sieben habe er in seiner Laufbahn erlebt, „bei manchen Kollegen sind es mehr als doppelt so viele“. Für Frank Krahnert bleiben auch diese Fälle rätselhaft: „Wenn schon jemand Schluss machen will, warum muss er dann noch andere dabei gefährden“, fragt er sich?

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