Potsdam-Mittelmark: Mit dem Buick in der Staubschüssel
Auf einer Sandpiste bei Schenkenhorst rasen am ersten Juniwochenende US-Oldtimer um die Wette
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Stahnsdorf - Holger Mehlhase tritt auf das Gaspedal. „Wer in diesen Wagen steigt, der muss Eier haben“, ruft er. Wie ein Tiger an der Leine faucht der Achtzylinder des 1939er Buicks im Leerlauf auf. Benzintropfen spritzen aus dem Motorraum, eine unheilvolle Abgaswolke quillt aus dem abgesägten Auspuffrohr. Wo den Wagen noch vor dem zweiten Weltkrieg ein chromverzierter Kotflügel zierte, prangt jetzt eine schmucklose Stahlplatte. Wo früher die Windschutzscheibe hing, zittert ein Karnickelgitter im Takt der Fünf-Liter-Maschine. Beim Rennen am ersten Juniwochenende bei Schenkenhorst soll es zur Sache gehen.
Staub, Lärm, alte Autos, Petticoats, Elvistollen und Rock’n’Roll. Das Amerika der 50er-Jahre kehrt zurück und macht Halt im Stahnsdorfer Ortsteil. Eine Gruppe von Autoliebhabern und Anhängern des American „Way of Life“ wollen einen Teil der alten amerikanischen Rennkultur in Deutschland etablieren. Rund um den 1. Juni laden sie auf der nahen Motocrossstrecke zur „Dust-Bowl-Challenge“ ein.
Fahrer aus ganz Europa werden dort auf einem sandigen Oval mit ihren zu Rennkäfigen umgebauten Oldtimern und historischen Motorrädern gegeneinander antreten – so wie es einst amerikanische Halbwüchsige taten. „Wir wollen die guten alten Zeiten wiederbeleben“, sagt Mehlhase und dreht den Zündschlüssel des alten Buicks zurück. Der Motor verstummt und das Vogelgezwitscher der Umgebung ist wieder zu hören. Schon in den 20er- und 30er-Jahren hätten Jugendliche in Amerika damit begonnen, Schrottautos für die Rennen im Oval fahrtauglich zu machen. „Auf irgendeinem Stück Acker sind die dann im Kreis gefahren.“ Um die Wette und ohne Rücksicht auf die Wagen. Heute zählen die Dirt-Track-Rennen zu den am weitesten verbreiteten Rennserien in den USA, es gibt Hunderte Strecken im ganzen Land.
„Klar ist das gefährlich“, sagt Mehlhase. In Schenkenhorst sollen aber andere Regeln gelten. „Wir rammen uns nicht und fahren die Wagen nicht kaputt.“ Aber ansonsten geht es genauso zur Sache wie einst in Amerika, sagt Mehlhase. Wer seinen blitzblanken Oldtimer nicht beschädigen will, sollte ihn lieber zu Hause lassen – oder, so wie es der 41-jährige Auto-Mechaniker mit seinem Buick gemacht hat, einen zweiten eigens für das Rennen auf der Sandpiste präparieren.
Im vergangenen Jahr konnte der Veranstalter, das Colonial Café aus Werder (Havel), zum ersten Rennen 1000 Besucher an die Strecke locken. Mehlhase zählt zu den Initiatoren. Etliche Gäste kamen zurechtgemacht wie in den 50er-Jahren mit amerikanischen Oldtimern. Das Internet ist voll von den Bildern im Retro-Design. „Das ist wie eine Zeitreise“, sagt Mehlhase. Nur dass die Wagen, die ansonsten in Museen blinken, in Schenkenhorst – in umgebauter Form – mit Vollgas über den Acker getrieben werden.
Gefahren wird in drei Klassen, erlaubt sind nur Fahrzeuge, die vor 1958 in Amerika gebaut wurden. Einzige Ausnahme sind die in der früheren DDR gefertigten Awo-Motorräder. Eine Runde im Sandoval ist 1/8 Meile lang, etwa 200 Meter. Es treten zwei Fahrer gegeneinander an, gestartet wird auf gegenüberliegenden Seiten des Ovals, gefahren wird auf Zeit.
Die schnellsten schaffen die drei Rennrunden in etwas mehr als einer Minute und beschleunigen die Wagen dabei im zweiten Gang bei Vollgas bis auf 100 Stundenkilometer. Auch gepflegte Oldtimer dürfen auf die Strecke, ihre Fahrer sollen es aber langsam angehen lassen. In der höchsten Klasse sind die Karossen mit einem Überrollkäfig verstärkt, die Wagen haben keine Scheiben, die Türen sind verschweißt. In Mehlhases Buick findet sich im Inneren, abgesehen von den rostigen Löchern im Unterboden, auch nur noch ein Sitz und der Tank.
„Wir fahren aber nicht nur im Kreis und sagen dann auf Wiedersehen“, sagt Mehlhase. Rund um das Rennen gibt es ein breites Programm: Friseure sorgen für die 50er-Jahre-Frisur. Hamburger, Muffins und Eis werden aus alten Imbisswagen verkauft. Am Freitag wird trainiert, anschließend spielt die australische Band „The Records“. Nach einem kräftigen Frühstück mit Eiern und Speck beginnen am Samstag um 13 Uhr die Rennen. Von einer Naturtribüne aus können die Zuschauer zusehen. Der Eintritt für das Wochenende kostet 20 Euro, Kinder und Jugendliche bis 16 Jahre haben freien Eintritt, auch wer einen amerikanischen Oldtimer mitbringt. Inbegriffen sind die Kosten, um sein Zelt an der Strecke aufzuschlagen. Am Samstagabend gibt es nach der Siegerehrung Rock’n’Roll von den „Flying Rockets“ und den „Texabilly Rockets“.
„Nach dem Rennen wird den Fahrern gehuldigt“, sagt Mehlhase. Der Schnellste erhält eine Dreiliterflasche Whiskey – für die Schmerzen. Denn nach einem Tag auf dem Kurs brennen die Knochen. Die Wagen haben keine Servolenkung, kein Airbag, keine Automatik – ein Sport für Harte, sagt Mehlhase.
Dust-Bowl-Challenge vom 31.5. bis 2.6. auf dem Motocrossgelände an der Potsdamer Landstraße bei Schenkenhorst. Mehr Infos unter www.dirt-track-race.de
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