Potsdam-Mittelmark: Mit Gottes Segen
Das Achtelfinalspiel der deutschen Nationalmannschaft – gesehen in der Beelitzer Stadtpfarrkirche
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Beelitz - Um 18.08 Uhr ist es Zeit für ein Stoßgebet. Im Münchener WM-Stadion pfeift der Schiedsrichter einen Elfmeter für Schweden und Stöhnen erfüllt die evangelische Stadtpfarrkirche Sankt Marien in Beelitz. Gerade hat die zweite Halbzeit im Viertelfinalspiel Deutschland gegen Schweden begonnen und dann das: Foulspiel im eigenen Strafraum. Zwei zu Null liegen unsere Jungs – ja, so sagt man das jetzt – vorn. Die Schweden haben nun die Chance und auf den Kirchenbänken beginnt das Leiden. Larsson legt sich den Ball zurecht und unbewusst faltet man seine Hände. Torwart Lehmann gespannt wie eine Feder in dem auf einmal viel zu großen Tor. Larsson nimmt Anlauf und man fängt an zu murmeln: „Bitte nicht, bitte nicht, bitte nicht“. Larsson schießt, der Ball fliegt über das Tor und Jubel donnert durch das Gotteshaus.
Samstag, später Nachmittag, und Deutschland ist einig Fußballland. Im Münchener WM-Stadion verfolgen 66 000, auf der Berliner Fanmeile angeblich eine Million und in der Beelitzer Stadtpfarrkirche Sankt Marien knapp 30 Besucher das Spiel der deutschen Nationalmannschaft. Fußball an jedem Ort, Schwarzrotgold an jeder Straßenecke, in oder vor fast jeder Kneipe ein Großbildfernseher, müssen da ausgerechnet auch noch in einer Kirche Fußballspiele übertragen werden?
Für Pfarrer Olaf Prelwitz ist das eine ganz klare Sache. „Was die Menschen bewegt, bewegt auch die Kirche“, sagt er. Und Fußball bringe ja gerade das ganze Land in Bewegung. Der evangelische Kirchenrat hatte vor der Weltmeisterschaft beschlossen, Fußball in die Gotteshäuser zu holen und die dafür notwendigen Lizenzen von der Fifa erworben. Prelwitz musste sich nur um die logistischen Dinge wie Leinwand und Getränke kümmern, wie er es nennt. Es ist Halbzeitpause. Pfarrer Prelwitz steht am Eingang zur Kirche Sankt Marien und verkauft Bier, Cola und Wasser. Den Tisch, auf dem sonst die Gesangbücher und kleine Faltblätter liegen, hat er dafür freigeräumt. An einem Pfeiler klebt ein Zettel, der für ein Jahresabonnement der Kirche wirbt. Wer sich bis zum 9. Juli entscheidet, nimmt an einer Verlosung teil: Drei wertvolle Fußbälle, handsigniert von Bischof Wolfgang Huber.
Prelwitz trägt zum T-Shirt eine kurze Hose und seinen Kopf ziert eine ballonartige Mütze in den Farben Schwarz-Rot-Gold. Vor dem Spiel hat er ein großes Tuch unter der Großleinwand ausgebreitet, auf dem die Fahnen aller Herren Länder abgedruckt sind. Das Haus Gottes ist offen für jeden Fan, der Pfarrer selbst jubelt und leidet mit den deutschen Spielern. Doch Grund zum Leiden gibt es an diesem Samstag kaum.
Das Spiel läuft knappe vier Minuten, Prellwitz hat sich eben hingesetzt, da schießt Podolski das erste Tor. Acht Minuten später jagt er den Ball zum zweiten Mal ins schwedische Netz. Der Jubel klingt befreiend, es wird kurz geklatscht, laute Schlachtgesänge à la „Luuukas Podolski“ bleiben aus. Fußball in der Kirche zu schauen, dass sei wie in familiärer Atmosphäre, sagt Prellwitz. Eine ältere Dame ist mit ihrem Enkel gekommen, der regelmäßig ein Deutschlandfähnchen schwenkt, ein älterer Herr, der selig seine Bierflasche umklammert, ein paar Jugendliche, eine kleine Gruppe, die mit jedem neuen Bier immer mehr Spaß zu haben scheinen. Alkohol in der Kirche? Für Pfarrer Prellwitz auch das kein Problem. Das sei kein Novum, wie er sagt. Beschwerden gab es bisher keine. Mancher wirkte zwar etwas verwundert über die WM-Übertragungen, aber von Gotteslästerung hat noch niemand gesprochen.
Die zweite Halbzeit läuft, der Elfmeter ist dank Stoßgebet glimpflich verlaufen und nur noch selten denkt man daran, dass man Fußball in einer Kirche schaut. Das Geschehen auf der Leinwand fesselt, man leidet mit Ballack, der immer wieder am schwedischen Tormann Isaksson scheitert und schlägt einmal frustriert auf die Kirchenbank. Kein Problem. Emotionen sind in dieser Kirche erlaubt. Selbst lautstarkes Fluchen über verpasste Chancen wird toleriert. Doch hat die Toleranz auch hier Grenzen. „Wenn die gegnerische Mannschaft beleidigt wird, dann ist Schluss“, sagt Prellwitz. Da versteht der Pfarrer keinen Spaß. Selbst ein „Spielabbruch“ wäre dann nicht auszuschließen.
Dirk Becker
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