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Werder (Havel): Mit Pinzette und Gefühl

Die Werderanerin Brigitte Gaertig verwandelt Weihnachtskugeln und Kerzen in botanische Kunstwerke

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Werder (Havel) - Fantasievolle Landschaften mit Bäumen aus Holunderblüten, bevölkert von Engeln aus gelbem Lerchensporn, Vögel aus den Innenblättern der Kornblume und Schnecken aus Staubgefäßen von Azalee und Rhododendron: Brigitte Gaertig erschafft aus gepressten und getrockneten Pflanzenteilen ganze Welten. Es gibt kaum ein Motiv, das die Werderanerin nicht aus Wiesenblumen wie dem Blauen Salbei, der Wilden Möhre, Krokus, Ochsenzunge, Gedenkemein und Hasenklee entstehen lässt.

Fast alles wird bei Gaertig sozusagen verblümt: Sie verziert Weihnachtskugeln, Ostereier, Kerzen, Streichholzschachteln und Karten aller Art: von der Geburtstagseinladung über den Weihnachtsgruß bis zur Beileidsbekundung. Ihre Kunstwerke verschenkt die Rentnerin an Freunde und Verwandte. So bekamen Bekannte, die geheiratet hatten, eine Hochzeitskarte, auf der zwei Täubchen ein Nest bauen. Einem befreundeten Dirigenten, der in den Ruhestand ging, schickte die Künstlerin eine Karte mit Musiksymbolen. Auf Wunsch ihres Sohnes komponierte sie ein florales Gemälde. Dazu ließ sie sich vom Gedicht „Der Mann im Mond“ des Dichters Mascha Kaléko inspirieren, nach dem sie eine faszinierende Traumwelt schuf. Zum 70. Geburtstag ihrer Schwester stellte sie deren Leben in Blumenmotiven dar.

Angefangen hat alles mit einem Herbarium, das Gaertig als junge Apotheken-Auszubildende anlegen musste. „Ich habe mir dazu eine Holzkiste gebaut und mit einer Schrift aus getrockneten Pflanzenteilen verschönert“, erzählt die Werderanerin. „Das fand ich sehr hübsch.“ Sie begann, Pflanzenmotive zu basteln. Doch schon bald musste sie dieses Hobby wieder aufgeben, die Arbeit als Apothekerin nahm zu viel Zeit in Anspruch. Muße für blumige Kreationen fand sie erst Jahrzehnte später wieder, als sie in den Ruhestand ging. „Ich machte einen Ausflug zu den Oderwiesen, und da entdeckte ich meine Leidenschaft neu“, erzählt Gaertig.

Ihr „Baumaterial“ sammelt sie bei Spaziergängen durch die Region und im eigenen Garten. Die Pflanzen, die sie verwendet, kennt sie inzwischen ganz genau. Etwa die weiße Spiere, die sie für ihre Trauerkarten verwendet. „Wenn ich am Anfang etwas nicht namentlich kannte, habe ich in einem Pflanzenbestimmungsbuch nachgeschlagen“, sagt Gaertig. Das ist aber längst nicht mehr nötig. Jedes noch so winzige Teil kann sie sofort zuordnen.

Ein wichtiges Werkzeug der Künstlerin ist die Handpresse aus Holz. Mit ihr presst und trocknet sie die einzelnen Pflanzenteile wie Blüten, Blätter, Stempel und Fruchtstände. Anschließend werden diese in eine von 40 Mappen eingeordnet, sortiert nach Pflanzenart und Farbe. Etwa Holunderblüten in verschiedenen Wachstumsstadien. „Je nachdem, wann die Blüte gepflückt wird, lassen sich aus ihr verschiedene Bäume machen“, sagt Gaertig. „Aus blühendem Holunder sommerliche Bäume, aus jungem Holunder Bäume im Frühling.“ Wie ein Maler seine Farben hat sich Gaertig die Pflanzenbestandteile zu Blüten- und Blätterpaletten zusammengestellt. Von ihnen bedient sie sich, wenn sie an einem ihrer Kunstwerke arbeitet. „Das ist einfacher, dann muss ich nicht in jede einzelne Mappe schauen“, sagt sie. Die einzelnen Teile werden dann mit Pinzette, kleinen Pinseln und wasserlöslichem Klebstoff auf den jeweiligen Untergrund aufgetragen.

Bei der Erstellung der Motive lässt sich die Werderanerin von der Inspiration des Augenblicks leiten. „Ich beginne mit einer Blüte und schaue dann, wie es weitergehen könnte, welches Teil und welche Farbe passen“, erklärt Gaertig. Für eine Karte braucht sie zwischen 30 Minuten und anderthalb Stunden. „Manchmal fehlt mir ein winziges Teilchen, das ich dann ewig suchen muss.“

In den vergangenen zehn Jahren hat sie mehr als 450 Karten, dazu 160 Kerzen, 45 Weihnachtskugeln, 215 Streichholzschachteln, 215 Ostereier und mehr als 20 Bilder angefertigt. Selbst die Visitenkarten ihrer Schwester Ildiko Grille verzierte sie mit Blumenmotiven. Die war von den einzigartigen Karten so angetan, „dass ich es viel zu schade fand, sie einfach wegzugeben“, sagt Grille.

Ihr florales Handwerk betrachtet Brigitte Gaertig als Hobby, verkauft wird nichts. Jede Kreation ist ein Unikat. „Das sind alles Naturprodukte, darum verblassen die Farben mit der Zeit“, erzählt sie. Von einigen Stücken haben befreundete Bewunderer ihrer Kunst inzwischen aber auch schon Fotokopien gemacht – um die realistisch und zugleich fantastisch anmutenden Schöpfungen aus Werder zu konservieren.

Stefan Kahlau

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