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Von Tobias Reichelt: Mit Rolli an den Polarkreis
Sieglinde Philipp öffnet Behinderten und Pflegebedürftigen in ihrem Kleinmachnower Reisebüro die Welt
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Kleinmachnow - Ob blind, ob taub, ob an den Rollstuhl gebunden, pflegebedürftig oder sterbenskrank – die Welt, erklärt Sieglinde Philipp, steht jedem offen. „Viele wissen nur nicht, dass es die Angebote gibt“, sagt die 60-jährige Chefin der Kleinmachnower Reiseagentur „Jede Menge Urlaub“. Die Giraffen in Namibia sehen, mit bunten Fischen im Schwarzen Meer tauchen, im Spreewald paddeln, am weißen Ostseestrand sitzen, mit dem Rollstuhl den Polarkreis erobern oder im Pflegebett den Nil erkunden. „Ich bin da, um alles zu versuchen“, sagt Philipp.
Mit ihrer Reiseagentur hat sich die 60-jährige Kleinmachnowerin vor über einem Jahr auf Reisen für Behinderte, Pflegebedürftige und deren Angehörige spezialisiert. Ein wachsendes Geschäft und vor allem ein Geschäft, das Menschen glücklich macht. „Viele berichten mir überschwänglich von ihrer Reise“, sagt Philipp. Sie hätten nicht geahnt, was alles möglich ist. Angebote gibt es für rollstuhlgerechte Hotels, selbst mit Pflegebett und Pflegepersonal. Sogar für komatöse Patienten gibt es Spezialreisen.
Oft seien es die Angehörigen, die sich in der Reiseagentur meldeten, sagt Philipp. Gemeinsam mit ihren pflegebedürftigen Eltern in den Urlaub zu fahren, mit dem ans Bett gefesselten Partner dem Pflegealltag zu entfliehen, das sei ihr Wunsch. Allerdings: Billig-Angebote gibt es selten. „Es ist alles ein bisschen teurer.“ So hat Sieglinde Philipp erst vor ein paar Tagen eine Sommerreise an die Ostsee nach Usedom verkauft. Die zehn Tage kosten für drei Personen mit Transfer rund 2000 Euro. Pflegebett und Personal können dazugebucht werden. Nach oben sind keine Grenzen offen: Eine Safari mit dem Rollstuhl durch Namibia kostet etwa 5000 Euro pro Person. „Die Angehörigen wissen aber oft nicht, dass es von der Pflegekasse teilweise Zuschüsse gibt“, sagt Philipp. Je nach Pflegestufe können das 30 bis 75 Euro pro Reisetag sein.
Im Herbst 2006 hat sich die fünffache Mutter mit ihrer Reiseagentur selbstständig gemacht. Zu DDR-Zeiten hatte sie Fremdenverkehr studiert. Dann kamen die Kinder. Erst als die nach und nach auszogen, blieb wieder Zeit für das Gelernte. Über eine Anzeige in der Zeitung kam Philipp zu ihrer Reiseagentur. „Heute bin ich mein eigener Herr“, sagt sie. Auch durch die Erfahrungen eines Pflegefalls in der eigenen Familie sei sie dazu gekommen, die Spezialreisen anzubieten. Dabei greift sie auf Angebote der Firmen „Runa Reisen“ und „Eberhardt Reisen“ zurück. Das können andere Reisebüros auch, sagt Philipp. Sie bietet aber noch etwas mehr und vermittelt auf Wunsch behindertengerechte Mietwagen, Reisen in Spezialbussen, Segeltörns für Rollstuhlfahrer oder eine Reise für Blinde- und Gehörlose nach Schottland.
„Man hört im Gespräch mit den Kunden viele Familiengeschichten“, sagt Philipp. Eine habe sie besonders berührt: Die Familie eines 13-jährigen krebskranken Mädchens hatte sich an ihre Agentur gewandt. „Ihr Wunsch war es, noch einmal einen Urlaub zu machen.“ Es ging nach Teneriffa in ein behindertengerechtes Hotel. Es war eine schöne Zeit, berichteten ihr die Eltern des Kindes. Das Mädchen starb wenige Tage nach der Rückkehr. „Man wird dann auch manchmal zum Seelsorger“, sagt Sieglinde Philipp – „aber auch dafür bin ich da.“
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