Potsdam-Mittelmark: Mit starrem Blick ins Vorgestern
Im Kunst-Geschoss in Werder wurde eine Fotoausstellung mit Arbeiterbildern eröffnet. Die umbuhlte Klasse ist längst von der Bildfläche verschwunden
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Werder (Havel) - Die neue Ausstellung in Werders Stadtgalerie ist nun wirklich die Höhe. Die lichte Höhe, sozusagen das helle Morgenrot einer besseren Zukunft. In einer Art Geniestreich ermächtigte sich Kurator Frank Weber in seinem „Kunst-Geschoss“ eines medusischen Themas, welches das Vergangene an die Gegenwart bindet, diese wiederum der Zukunft schöne Augen macht, mit starrem Blick ins Vorgestern! Es geht um das heilige Thema „Arbeiterfotografie“, im englischsprachigen Raum ein Kind des neunzehnten, auf dem Festland eines des darauffolgenden Jahrhunderts.
Es ist mit Abstand die seltsamste Schau, und vor allem die politischste. Man könnte sogar sagen, politischer geht es nicht, wenigstens was ihre Präsentation am Donnerstag betraf. Man sei „vom Klassenkampf so weit nicht entfernt“, war bei der Vernissage zu hören, männiglich linke Propaganda-Lyrik mit heiserer Stimme, und natürlich Brechts Solidaritätslied mit dem marschierenden Refrain „Vorwärts und nicht vergessen“, was der halbe Saal begeistert mitsang, auch die linke Zelle von Köln, welche die Zelle von Werder samt ihrer Werke hinzulud. Die „Arbeiterfotografie“ ist ja seit 1978 bundesweit organisiert, feiert mit der Schau das 35. Jubiläum – und Werder ist mit dabei. Hier wurde schon 1930 eine Ortsgruppe der Arbeiterfotografen gegründet.
Weil es aber eine echte „Arbeiterklasse“ (fort, einfach verschwunden!) trotzdem längst nicht mehr gibt, die solche Arbeiterfotografien machen könnte, glaubt Frank Weber – auch er ein echter Arbeiterfotograf – Arbeiterfotografie sei, wenn man „aus der Sicht der Betroffenen“ fotografiere. Sollte das dann nicht eher Betroffenheitsfotografie heißen? Ein Wunder bleibts trotzdem, wenn die umbuhlte Klasse verschwindet, nicht aber ihre Abbilder. Dazu fiel selbst Bürgermeister Werner Große (CDU) bei seinem Grußwort nicht viel ein, es war ganz auffällig kurz.
So lichteten die jung gebliebenen Arbeiter-Fotografen eben Antikriegsdemos ab, verfallene Fabriken und Werke in Ost oder West, politische Aktion, Arbeitsstudien, ließen Porträts Betroffenheit strahlen, zeigten Plakate, auf denen stand, wie schlecht verteilt das Geld hienieden sei, alles „historisch, international, medienkritisch, publizistisch, künstlerisch, dokumentarisch“, wie es der Begleitflyer dieser meist schwarzweißen Schau verspricht. Mit Fotos kann man eben alles machen. Nur das Selbstkritische fehlt, der Abstand.
Mehr als 100 Fotografien und Collagen aus der historischen Zeit von 1927-1933 und aus den letzten 35 Jahren sind zu sehen. So findet man Faksimiles von Arbeiter-Illustrierten aus vergangenen Tagen genauso wie Antikriegs-Collagen oder Porträtreihen, sogar KPD-Mitbegründer John Heartfield ist vertreten, Walter Ballhause, auch die Schule aus Köln. Diese Bilder gehen durch die Zeit, von damals über gestern bis heute, durch West und Ost.
Sie sind im Geiste alle demselben Muster zugeordnet: Abgebildet werden sozial Schwache, Kämpfende, Leidende, Aufbegehrende als quasi „ewig Gute“, indes das Kapital, dem Marx ja mit seinem dickleibigen Opus zu ungeahntem Wachstum verhalf, samt Helferschaft und Paladin, das ewig Böse darstellt. Dies gilt es zu bekämpfen, zu überwinden.
Arbeiterfotografen wissen eben, was recht ist und was nicht. Dabei sind Fragen wie „Wessen Welt ist die Welt“ (Brecht) ja gar nicht mal so schlecht, nur die Antworten taugen halt nichts, das ist das ganze Problem.
Dem normal Interessierten wird solch revolutionäres Gegenwartspathos, dieser emphatische Vorwärts-Drang, kaum mehr entgegenschlagen. Vernissage ist eben Vernissage, und Bilder sind Bild. Vielleicht sollte man die passenden Lieder aus dem Off einspielen. Jeder soll wissen, dass Kunst endlich wieder Waffe sei, besonders im Kunst-Geschoss. Da freut man sich schon auf die nächste Schau. Bis dahin die Hand heimlich zur Faust geballt und leise geträllert: „Vorwärts immer – rückwärts nimmer!“ Gerold Paul
Ausstellung „Wacht auf, Verdammte dieser Erde – 35 Jahre Bundesverband der Arbeiterfotografie“ vom 21. September bis 3. November, immer Donnerstag, Samstag und Sonntag von 13-18 Uhr
Gerold Paul
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