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KulTOUR: Monströser Zwilling

Neue Skulpturenausstellung in der Galerie Töplitz

Stand:

Werder (Havel) - Ohne das so dauerhafte wie ehrenvolle Engagement des Vereins Havel-Land-Art wüsste man in den Brandenburger Breiten weniger über die Werke der Künstlerschmiede Burg Giebichenstein bei Halle.

Seit Jahren schon entdeckt die Vereins-Kuratorin Marianne Kreutzberger in diesen edlen Gefilden immer wieder junge Leute, denen es weder an Ernst noch an fachlich-künstlerischer Bildung fehlt. Was aus ihnen mal wird, ist noch unbekannt, was sie sind, zeigen jährlich vier Ausstellungen in der Galerie Töplitz. Eigentlich sind sie fast immer eine Empfehlung – auch wenn der Weg rüber zur Insel der kürzeste nicht ist. Den Jahresauftakt 2015 haben jetzt zwei Absolventen dieser Kunsthochschule übernommen, Bildhauerin Marie Lynn Speckert sowie Holzbildhauer und Grafiker Tobias Gellscheid. Beide kennen sich, stellten bereits in Halle unter dem schönen Titel „Das Werk ist der düstere Zwilling des Menschen“ zusammen aus. Dieser Satz lässt sich direkt auf die Töplitzer Exposition übertragen, weil auch sie die Dinge des Lebens ernst nimmt, dieselben existenziell und greifbar macht, und weil sie nota bene viel mit den Produzenten selbst zu tun hat.

Gut gerüstet zum Beispiel ist „LAM“, ein lebensgroßer Hirsch, dessen hinterer Corpus aus handgeschmiedeten Bleiplättchen besteht. Zum Kopf hin wird er dann „echter Hirsch“. Ein Versuch, unterschiedliche Materialien zusammenzubringen, zugleich eine Premiere, denn „LAM“ war noch nie in einer Ausstellung zu sehen. Auch in anderen Metallplastiken und Skulpturen beweist Speckert großen Ernst, „Teratoma“ etwa ist ein monströs geratener, ungeborener Zwilling, pechschwarz, auch die Ackerforke an der Wand ist missraten. Friedlich hingegen ruht das Abbild ihres Windhundes Anubis auf weichem Tierfell – „weil es dort gemütlich ist“.

Nicht minder existenziell und doppelsinnig ist die Kunst von Tobias Gellscheid. Er hat sich uralten Techniken wie Holzstich und Holzschnitt verschrieben, seine Inhalte aber sind absolut heutig. So thematisiert er die Rock-, Pop- und Punkszene der jüngeren Vergangenheit in fast unerträglichen Schwarzweiß-Kontrasten, ekstasekreischende Mädchen der 50er- und 60er-Jahre etwa beim Konzert ihrer Idole. Die Formate sind groß, die Wiedergabe so krass fotorealistisch, dass es schon richtig wehtut. Aber so ganz realistisch sind diese „Schlachtenbilder“ auch wieder nicht. Gellscheid ändert immer etwas, beim Konzert von The Clash zum Beispiel hat er, frei nach Stalin, den Frontmann herausretuschiert. Wer’s weiß, sieht’s auch! Unter den Farbholzstichen persiflieren bunte Grabkränze Herrn Jedermanns Traum vom „schönen Blumenbild“, der brennende Porsche des einstigen Jugendidols James Dean wird im Wortsinn zum flammenden Fanal.

Die Gegenwart so deutlich anzunehmen, ist schon großartig, es mit den unerreichten Künsten von Dürer und Holbein zu versuchen, erst recht. Gellscheid verfremdet Holbeins „Kreuzesträger“ durch eine Knülltechnik, setzt Graf Zahl aus der Sesamstraße an Draculas Stelle, beim Speisen zigtausend Gepfählte betrachtend, zeigt die Comedian Harmonists beim Konzertieren als lebendige Gerippe. Das hat Stil, das hat Größe. Und der Tod, dieser sichere Posten, ist immer dabei. In der Kunst, beim Betrachter. Jedes Werk ist auch hier ein düsterer Zwilling des Menschen. Gerold Paul

Geöffnet ist bis zum 17. Mai am Dorfplatz Töplitz von Mo bis Fr 16 - 18 Uhr sowie Sa und So 14 - 18 Uhr

Gerold Paul

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