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KulTOUR: Mord und Totschlag in Werder

Autorin Ingeborg Lauwaßer recherchierte Kriminalgeschichten aus der Vergangenheit

Stand:

Werder (Havel) - Anfang des Jahres 1880 ereigneten sich im „Städtischen Collegium“ zu Werder eine ganze Serie mysteriöser Todesfälle. Kurz nacheinander verstarben drei Rathmänner und ein Stadtverordneter. Ihr Vorsteher, ein Herr Wallis, ließ die Versammlung wissen, „dass es förmlich unheimlich werde, Mitglied des städtischen Collegiums zu sein“. Am folgenden Donnerstag hat dann auch ihn der Tod dahingerafft.

Was sonst noch geschah im Einzugsgebiet des „Zauch-Belziger Kreisblattes“ oder des „Potsdamer Intelligenz-Blattes“, ähnelt der Gegenwart mehr, als ihr lieb sein könnte: eine Messerstecherei mit tödlichem Ausgang am Karfreitag 1883 unter Glindower Ziegeleiarbeitern, etliche Brände mit tragischem Ausgang für Mensch und Vieh bis nach Groß Kreuz hin, die todtraurige Mär von einem Witwer, dem statt seiner Frau eine fremde Leiche im Sarg angeliefert wurde, ein tödlich endendes Zechgelage (heute Koma-Saufen) „mit einer größeren Quantität Schnaps“ ...

Diese und viele andere wahre Kriminalfälle hat die Werderaner Autorin Ingeborg Lauwaßer unter dem Titel „Mord unterm Kirschbaum“ aus den Archiven vor Ort zusammengetragen und zu einem Büchlein mit kirschrotem Einband gemacht. Es ist leicht und herrlich zu lesen, auch nützlich gar, denn selbst in Zeiten ohne Netz und Handy war es der Gendarmerie nicht unmöglich, einen Fuhrwerkdieb in Erfurt zu schnappen, obwohl das Gespann in Werder geklaut worden war.

Die episodenhafte Berichterstattung „von damals“ unterscheidet sich deutlich vom Sachstil heutiger Tage. Es geschah ja zwischen 1880 und 1930 auch nichts, was nicht auch heute passiert: Ein „dummer Junge“ ruft Feuer aus, das er selber gelegt hat, Raubmord zu Lande und auf dem Wasser, grausige Leichenfunde, amtsmissbräuchliche Unterschlagungen, ein Doppelselbstmord auf der Havel, der Crash des „Petroleum-Motorbootes der Werderschen Brauereien“ mit dem Schleppdampfer „Nixe“ auf dem Großen Zernsee, versuchte Schändung, Blumendiebe, der „feige Hundemord“ von 1909!

Im Gegensatz zu einem Obstzüchter, der 1897 den Weinbergbesitzer Kassin in einer Werderaner Kneipe vor aller Augen erwürgte und „dann ganz verzweifelt über seine Tat“ war, ist der Mord an dem Kunstmaler Albert Kurz von 1928 bis heute nicht aufgeklärt! Nichts ist eben interessanter als die Zeitung von gestern! Die Archive dergestalt zu inspizieren, erwies sich als Volltreffer. Freilich sind nicht alle Fälle so erheiternd, besonders oft muss es damals Kinder erwischt haben. Aber die Autorin und Herausgeberin hat schon darauf geachtet, dass der Proporz nicht ins Wanken gerät.

An einen Folgeband ist gedacht, dann aber wünschte man sich genauere Quellenangaben. Dafür sind als historische Beikost historische Anzeigen abgedruckt, über das „Haupt-Versandt-Bier Depot von Ferdinand Vogeler in Brandenburg“, man suchte einen „zuverlässigen Agenten“ für eine „auf Gegensetigkeit basirende Hagelversicherung gegen General-Agentur-Provision“ oder annoncierte einfach nur in Sachen Pferdelotterie, Magenbitter, Epilepsie. So gesehen, hält man ein erstklassiges Zeit- und Orts-Dokument in Händen, hervorragend und witzig illustriert von Manfred Zeitz, Michendorf.

Die armen Stadtverordneten waren nicht die einzigen. So lief einem Freizeitjäger 1896 im Fercher Forst zuletzt doch noch eine Sau vor die Flinte. Nach dem Treffer wurde „bei näherer Betrachtung“ klar: Es war das verirrte Hausschwein des Försters!

zu beziehen im Charlotte-Shop, Werder, Torstaße 2

Gerold Paul

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