KulTOUR: Mut zum Gedicht
Huchel-Preisträger zu Gast im Wilhelmshorster Peter-Huchel-Haus
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Michendorf - Das Peter-Huchel-Haus hat in diesem Jahr eine gute Arbeit getan. Man holte namhafte Autoren nach Wilhelmshorst, es gab gute Gespräche mit einem treuen Publikum, Qualität zahlt sich halt aus. Die letzte Veranstaltung war zwei Huchel-Preisträgern gewidmet. Wer diese Auszeichnung bekommt, gilt unter den Lyrikern schon fast als geadelt. Vielleicht war es kein Zufall, wenn ihn die Jury des SWR in den letzten Jahren zwei Süddeutschen zuerkannte.
Ulf Stolterfoht, 1963 in Stuttgart geboren, erhielt ihn dieses Jahr für seinen Gedichtband „holzrauch über heslach“. Der neun Jahre ältere Hans Thill, in Baden Baden geboren, in Heidelberg zu Hause und von dorther extra angereist, erntete diesen Lorbeer im süddeutschen Stauffen für „Kühle Religionen“. Beide sind keine freiberuflichen Dichter, sie gehen natürlich auch einer „ordentlichen“, meist verlagsnahen Tätigkeit, nach.
Die Berliner Literaturkritikerin Cornelia Jentzsch leitete den neunzigminütigen Abend, nach Thills Gedicht „Im Wald des einzigen Bildes“ ziemlich poetisch benannt. Natürlich führt man seine Gäste mit Freundlichkeit ein. Die Moderatorin lobte beider Sprachqualität: „Mehrfachbrechung, Kombinationsfähigkeit, Verfremdung“ und weitere Finessen machten den Anspruch dieser Texte aus. Am Anfang standen Statements. Ulf Stolterfoht meint, in Sachtexten könne man wohl so tun, „als sei alles in Ordnung“, in der Lyrik funktioniere das nicht. Er brachte drei Bände von „Fachsprache“ heraus, natürlich nur Eingeweihten verständlich. Ähnlich den „Gaunern“ früherer Jahrhunderte, unterhielt sich die Jugend im süddeutschen Raum offenbar in Rotwelsch, oder Argot. Nett, so etwas mal wieder zu hören.
Angewandt hat sie der Lyriker auch in seinen „Erinnerungsgedichten“ aus jenen siebziger Jahren. Es gab für seine Mitrebellen im Stuttgarter Stadtteil Heslach ja nur Anarchismus, Anarchosyndikalismus, Freejazz, Sprache und Drogen – noch der „natürlichen Art: Stechapfel oder Engelstrompete beförderten Ulfs Truppe in Sphären, wo man gute Gedichte schreiben konnte, auch wenn man sie später selbst nicht verstand. Er trug einiges aus „herbstrauch in heslach“ vor, und Cornelia Jentzsch beeilte sich zu versichern, diese Werke hätten natürlich keinerlei „Mittel“ gebraucht.
Sehr temperamentvoll dann sein Kollege Hans Thill. Auch er hat noch immer linke Gedanken im Kopf. Neben dem deutschen ist er auch (als Übersetzer) im französischen Sprachraum zu Hause, der bis nach Tunesien, Algerien reicht. Für ihn ist Lyrik, etwas anders zu sagen, was (in „Zivile Ziele“, 1995) manchmal gut klang, oder auch nicht. Sprache kann verdeutlichen, darstellen, aber auch blenden. Thill verteidigt ihre „ästhetische Autonomie“. Er sucht, zwischen Heidelberger Romantik und Surrealismus, „progressive Realität“ in expressiven Sprachgebärden auszudrücken, paradoxerweise im „Wir“. Er mag den Leuten nicht mitteilen, „was sie selber denken“.
Obwohl ein echter Aufklärer, so glaubt er trotzdem „Religionen noch im Hohen Turm verborgen“. Sie scheinen ihm, wie im Gedichtband von 2004, allerdings „kühl“ zu sein. Wie bei Stolterfoht, stets geheimnisvoll, „der Mann“ dabei ist, so durchgeistert der Lyriker Hans Arp (1887-1966) alias Hans Harfe das Werk des anderen Gastes. Für ihn ist „der Mut zum Gedicht“ die Voraussetzung allen Dichtens.
Eigenartige Burschen, diese Lyriker, aber nicht uninteressant. Viel zu hören, viel zu lernen also auch zum Ultimo in Wilhelmshorst.
Gerold Paul
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