
© Andreas Klaer
Potsdam-Mittelmark: Nachwuchs auf den Hollandwiesen
Rentier Rudi hat in Teltow eine Familie gegründet. Doch die Idylle ist vom Rathaus bedroht
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Teltow - Nein, sagt Klaus Kretzschmar, er ist nicht der Weihnachtsmann. Kein Rauschebart, kein Bauch – er sieht ja auch ganz anders aus. Andere Indizien sprechen für sich und traben gerade durch Kretzschmars Garten: Schnaufend nähert sich ein alter Rentierbock seinem Herrchen. „Na komm her, Rudi“, sagt Kretzschmar mit ruhiger Stimme und raschelt mit einem Kirschbaumast – von Kirschbaumblättern kann Rudi nicht lassen. Und auch Rentierdame Paula und den gemeinsamen Nachwuchs lockt das frische Grün in der Hand des Rentners.
Seit knapp fünf Jahren hegt und pflegt Klaus Kretzschmar auf einer Pachtfläche hinter seinem Grundstück an der Ruhlsdorfer Straße zwei Rentiere. Vor einer Woche kam ein weiteres dazu. Rudi und Paula hatten Nachwuchs. Doch die Freude darüber ist getrübt: Der kleinen Rentierfamilie droht der Umzug aus ihrem weitläufigen Domizil an den Teltower Hollandwiesen, wenn nicht sogar die Schlachtbank.
Das Problem: Damit die Rentiere nicht ausbüchsen, hat Kretzschmar einen Bauzaun um die Koppel gestellt. Doch für den etwa 1,8 Meter hohen Zaun ist eine Baugenehmigung nötig – die Stadt Teltow will sie ihm nicht geben. Im Rathaus fürchtet man, dass die Viehhaltung im Landschaftsschutzgebiet überhandnehmen könnte. Heute Abend können die Stadtverordneten im Bauausschuss über Kretzschmars Zaun entscheiden – und damit über die Zukunft der Rentierfamilie.
„Warum sollen sie hier weg? Das ist doch albern“, klagt Klaus Kretzschmar. Der Gartenbauer im Ruhestand kann den Ärger um seine Rentierkoppel nicht verstehen. 12 000 Quadratmeter Land hat er für die Tiere gepachtet. Nie kamen Klagen. „Das ist mein Hobby“, sagt er.
Eines mit speziellem Antrieb: „Jedes Stückchen Erde ist mit Pferden besetzt“, klagt Kretzschmar. Beim Blick über die Hollandwiesen tummeln sich zahlreiche Pferde in der Nachbarschaft. „Wenn am Wochenende die Kinder zum Reittraining herkommen, was denken Sie, wie laut das ist.“ Kretzschmar wollte sich mit seinen Rentieren einen Ruhepol schaffen. „Ich habe nichts gegen Pferde“, sagt er, aber die sehe man auf den Hollandwiesen ja zuhauf. Der Rentner wollte für tierische Abwechslung sorgen.
Auf der Grünen Woche kam ihm vor etwa acht Jahren die Idee mit den edlen Hirschtieren. Von einem Rentierzüchter aus der Uckermark kaufte er seinen ersten Rentierbock. 500 bis 600 Euro kostet so ein Rentier, sagt Kretzschmar, das erste lief erstmal weg. Wie an einer Leiter sei der Bock über den engmaschigen Wildzaun geklettert, auch Stromzäune hätten ihn nicht aufhalten können. „Das sind wilde Tiere.“ In einer schweißtreibenden Aktion und mit Lasso konnte Kretzschmar das Rentier wieder einfangen. „Das hat Nerven gekostet.“ So rüstete er auf. Über den hohen Bauzaun konnten die Rentiere nicht entwischen. „Längsmaschen. Da kommen sie nicht hoch.“
Über die Jahre, in denen sich niemand am Zaun störte, wurde die Einfriedung vom Grün überwuchert. Kletterpflanzen ranken sich. „Für Rentierpärchen ist das der Himmel auf Erden“, sagt Kretzschmar, während er stolz auf die kleine Rentierfamilie blickt. Für den Nachwuchs hat er noch keinen Namen, vorsichtig schmiegt sich das Kälbchen an seine Mutter, während Rudi genüsslich an den Kirschblättern knabbert. Das Geweih macht Eindruck, sein Fell ist dicht und hell. In seiner Nähe riecht es etwas. Eine rote Nase hat er nicht.
Mit etwas Glück kann jeder Spaziergänger einen Blick auf die Rentierfamilie erhaschen – noch. Ein Wanderweg führt an der Koppel vorbei. Morgens um sieben und abends um sieben sei eine gute Zeit, um die Tiere im hohen Gras zu entdecken, sagt Kretzschmar. „Wenn man die Leute mit diesem Anblick nicht überzeugen kann, dann ist alles hoffnungslos.“
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