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In den 50ern Scheunerts Wirkungsstätte: Das Ernährungsinstitut in Bergholz-Rehbrücke.

© alm

Potsdam-Mittelmark: Neue Recherchen zu Arthur Scheunert

Gemeindevertreter in Nuthetal hadern mit Historiker Roland Thimme / Ihnen fehlen die Beweise für tödliche Menschenversuche

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Nuthetal – Die Gemeinde Nuthetal will ihren Ehrenbürger Arthur Scheunert (1879-1957) nicht so einfach aufgeben. „Wir werden keine Straße umbenennen, weil ein Historiker meint, dass wir die Falschen ehren“, sagt Gemeindevertreterin Erika Haenel. Und auch Bürgermeisterin Ute Hustig (Linke) wolle nicht allein „vorpreschen“, wie sie sagt. Nachdem Anfang des Monats öffentlich bekannt wurde, dass Scheunert, der in den 1950er Jahren das Rehbrücker Ernährungsinstitut geleitet hatte, in der NS-Zeit für Menschenversuche verantwortlich gewesen sein soll, herrscht in der Gemeinde Nuthetal Verärgerung. Weniger über Scheunert, wie auf der Gemeindevertretersitzung am Dienstagabend deutlich wurde, sondern über Historiker Roland Thimme.

Der in Rehbrücke geborene Geschichtswissenschaftler hat mit seinem jüngsten Aufsatz über Scheunert die Gemeinde Nuthetal in ihren Grundfesten erschüttert (PNN berichteten). Demnach soll der zu DDR-Zeiten hochdekorierte Ernährungsforscher unter den Nazis Gefangene des Zuchthauses Waldheim unter anderem 188 Tage lang völlig ohne Vitamin A ernährt haben – was bei ihnen zu gravierenden Gesundheitsproblemen bis hin zum Tode geführt haben soll. Thimmes Erkenntnisse würden jedoch nur auf Sekundärquellen basieren und seien deshalb keine Beweise, wirft Erika Haenel ihm vor. Haenel hat früher selbst am Rehbrücker Institut gearbeitet und ist Witwe von Helmut Haenel, der das Institut von 1964 bis 1981 und dann noch einmal kurz nach der Wende geleitet hatte.

Erika Haenel, als Vorsitzende des Ortsvereins Bergholz-Rehbrücke auch um die Ortschronik bemüht, hat sich jetzt selbst an die Recherchearbeit gemacht. Sie sucht nach der Begründung von 1957, nach der Bergholz-Rehbrückes Hauptstraße Scheunerts Namen nach dessen Tod erhielt. Sie hofft auf Unterstützung des Deutschen Institutes für Ernährungsforschung als Nachfolgeeinrichtung des DDR-Ernährungsinstituts. Auch die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina in Halle (Saale) und die Universität Leipzig, wo Scheunert zu seiner Zeit wirkte, sollen einbezogen werden. Nach Dokumenten zu den Vitaminversuchen müsse unter anderem im Archiv des ehemaligen Zuchthauses Waldheim, das heute als Gefängnis genutzt wird, gesucht werden. Erst wenn eine sachliche, historische Einordnung erfolgt ist, könne eine politische Entscheidung getroffen werden, unterstrich Haenel.

Roland Thimme habe sich bereits vor drei Jahren mit den Vorwürfen gegen Scheunert an sie gewandt, erklärte Haenel weiter. Doch für eine Veröffentlichung in der Heimatzeitung „Der Nuthebote“ habe sie schon damals Beweise verlangt. Zudem sei Arthur Scheunert nicht der einzige geehrte Rehbrücker, der von Thimme angegriffen worden sei. Auch dem isländischen Komponisten Jón Leifs (1899-1968), der während der NS-Zeit zeitweilig in Rebrücke gelebt hatte und nach dem ein öffentlicher Platz im Ort benannt ist, habe Thimme „Nähe zum NS-Regime“ vorgeworfen.

Die Nuthetaler sehen sich vonseiten des Historikers generell mit der Kritik konfrontiert, das geschichtliche Erbe des Zweiten Weltkrieges im Vergleich zu anderen Kommunen nur am Rande aufgearbeitet zu haben – trotz einer Gedenktafel für das Zwangsarbeiter-Durchgangslager am Bahnhof und trotz der drei Stolpersteine, die in jüngster Vergangenheit vor den letzten frei gewählten Wohnsitzen Rehbrücker Bürger verlegt worden sind, die dann von den Nazis verschleppt und ermordet wurden. Einer davon war auch der Widerstandskämpfer Richard Kuckuck, nach dem ebenfalls eine Straße in Rehbrücke benannt ist.

Auch zu dessen Ehrung im Ort sei Widerspruch von Roland Thimme eingegangen, wie Ortsvorsteherin Annerose Hamisch-Fischer (Die Linke) in einem offenen Brief anprangert: Widerspruch, „weil uns neben den Jüdinnen Alice Bloch und Margarete Beyer auch der Kommunist Richard Kuckuck des Gedenkens wert war“. Thimmes historische Auffassungen würden „leichten Zweifel an seiner Lauterkeit gegenüber seinem Heimatort aufkommen lassen“. (mit lä)

Ute Kaupke

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