KulTOUR: „Nichts als nach Ferch“
Erinnerung an erste Landärztin am Schwielowsee
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Schwielowsee · Ferch - Erinnerungen können erfreuen, sie können auch wehtun, besonders wenn man in der Ferne lebt. Im Falle des weiblichen Strangs der Familie Hempel hielt die Sehnsucht nach der Heimat am südlichen Schwielowsee über drei Generationen. Dem Fercher Heimatverein war es gelungen, Kontakt zu Irene Gill aus Oxford aufzunehmen, Enkelin der ersten Landärztin des Ortes Anfang des 20. Jahrhunderts, Olga Hempel. Kürzlich las die kühle Dame („bin Halbjüdin“) in der Seniorenresidenz ProCurand, was nun ihre Mutter, Eva-Leonore Hempel, im englischen Exil über ihre Sehnsucht nach dem fernen Ferch aufgeschrieben hatte. Olga Hempel kam da nur am Rande vor.
Auf den Spuren ihrer Oma hatte Irene Gill auch selbst Berlin besucht, den Wohn- und Arbeitsort der großelterlichen Vorfahren, wo Olga Fajans (geb. 1869) ihren Freiburger Kommilitonen, den HNO-Arzt Hugo Hempel heiratete, drei Kinder gebar. Zu Ferch, gleich oberhalb der „Residenz“, wurde ein Sommerhaus gebaut. Während der Mann in Berlin seine Praxis hatte, arbeitete Olga Hempel in einer Poliklinik und ließ sich bis 1919 in Ferch als Ärztin nieder. Sie tat dem Ort und seinen Kindern viel Gutes, in Hygiene oder bei Ernährungsfragen zum Beispiel, aber ihre Wochenendpraxis im eigenen Hause war auch zur „kleinen chirurgischen Versorgung“ geeignet.
Nach den Erinnerungen von Gill''s Mutter („Immer ein bisschen revolutionär“, Hartung-Gorre Verlag Konstanz 2005) soll die Ehe auseinandergebrochen sein, weil sich Hugo Hempel zunehmend als „unerträglicher Despot“ und Schläger erwies. Nachprüfen konnte man das freilich nicht, weil die resolute Vorleserin ihrem Publikum diese Teile „ersparte“. Dafür hörte man viel vom im englischen Stil eingerichteten Wohnhaus mit dem Luxus eines Bades, von einem Wundergarten, darin die Beeren größer waren als sonst in der Welt, Spargel in Massen wuchs, Ziegen, Geflügel, ein Pony aus dem Zoo und vierzehn Bienenvölker das 1909 erworbene Anwesen umsummten.
Es muss eine Zeit des Wohlstandes gewesen sein. Wunsch nach idyllischem Landleben: „Wir wollten nichts als nach Ferch!“, erinnerte sich Eva-Leonore wehmütig. Hier wohl schwärmte die Sehnsucht, was sonst. Es folgten präzise Beschreibungen des Ortes und seiner Bewohner mit Name und Adresse: Vom gestrengen Dorfschullehrer Ziemann, und wie dessen Lebensverhältnisse gewesen; welche Familie niemals ihre Fenster zum Lüften öffnete; dass man die vielen Stoph''s in Ferch nach ihren Attributen unterschied: Kuh-Stoph, Kinder-Stoph, Ziegen-Stoph – Kulturgeschichte pur aus einem Ort, wo man den Kuchen gleich „meterweise“ buk und es sogar tausendmal mehr Fliegen gab als später. So das sehnsuchtsvolle Eingedenken einer Exilantin aus der Ferne.
Der restliche Lebensweg von Olga Hempel ist schnell erzählt: Trennung von Hugo 1919, Freiburg, Ausreise 1938 nach Persien, danach USA, wo sie 1954 starb. Ein reges Gespräch über Hinze und Kunze in Ferch schloss sich an, die Senioren wussten noch viel. Eine 90-jährige Dame klagte, sie würde niemanden finden, mit dem sie „über die alte Zeit“ reden kann. Vielleicht hatte Irene Gill doch noch Muße, Gelegenheit, sich ihrer mit Freundlichkeit anzunehmen. Erinnerungen bleiben, solange man über sie spricht.
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