Potsdam-Mittelmark: „Ob das auch die Menschen wissen?“
Ein ungewöhnliches Konzert im weihnachtlich geschmückten Künstlerhaus / Wie aus der Not eine Tugend wurde
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Ein ungewöhnliches Konzert im weihnachtlich geschmückten Künstlerhaus / Wie aus der Not eine Tugend wurde Von Gerold Paul Beelitz-Fichtenwalde. Alle Welt feiert Advent, die Erwartung der Ankunft des Heilands, auch Fichtenwalde. Vorab hatte es Unbill gegeben: Per amtsrichterlichem Beschluss wurde dem Kulturverein dieses Beelitzer Ortsteils die Ausführung des Adventskonzertes mit dem Trio „Palmano“, welches eigentlich ein freischaffendes Kammerquartett ist, im Hans-Grade-Haus untersagt. Man sollte den Architekten dieses Fichtenwalder Zentralbaus befragen, wie er sich die Doppelnutzung als Kultur- und Wohnstätte wohl gedacht hatte. Doch so oft wird Not zur Tugend: dank des Engagements von Vereinsgründer Michael Heise und seiner gastfreundlichen Gattin musste dieser adventliche Höhepunkt im Kulturleben des Ortes trotz trüben Regens nicht ins Wasser fallen, das Ehepaar lud kurzerhand zu sich nach Hause ein. Was im weihnachtlich geschmückten Künstlerhause dann geschah, wird nicht einmal das trauliche Katzentier der Familie Heise vergessen. Man hatte es mit einem gepflegten Kammerkonzert der Marke „Hausmusik“ zu tun, allerbeste Referenzen. Liebevoll war der große Salon mit Weihnachtsstern und Tannengrün geschmückt, sogar der dekorative Hirsch vom Flügel trug Nadelschmuck im Geweih. Kerzen überall, drei Lichter zeigten den aktuellen Adventssonntag an – kulturvoller hätten sich die etwa 50 Gäste den Rahmen für das sehr ungewöhnliche Vorweihnachtskonzert nicht wünschen können. Und wie bereits in der Vergangenheit, so ging man auch dieses Mal nicht in die nächtliche Feuchte zurück, ohne berührt und angeregt worden zu sein vom Fichtenwalder Advent. Das Repertoire war ja auch höchst seltsam. Einerseits versprach das ob seines zweiten Cellisten zum Trio verkürzte Ensemble mit Händel, Beethoven, Telemann und Schostakowitsch (teilweise in Auszügen) ein Kammerkonzert, andererseits lud man zum gemeinsamen Weihnachtssingen ein. Für jeden Besucher lagen Texte und Noten vom „Tannenbaum“ bis „Stille Nacht" bereit. Auch das funktionierte vortrefflich. Die erstklassige Cellistin Marika Gejjrot sorgte mit einem Brauch ihrer schwedischen Heimat für eine weitere Überraschung, als mit ihrer lichtbekränzten Tochter (nebst Freundin) der Santa Lucia, eine nordische Lichtbringerin, gedacht wurde. Während „Palmano“ die bekannte Melodie intonierte und die Cellistin ins Deutsche übersetzte, verteilten die Kinder kleine Gaben ins Publikum. Letztlich trug eine ältere Dame ganz spontan ein fast vergessenes Weihnachtsgedicht vor, darin eine Frau dem neugeborenen Jesuskind nicht Geschenke, sondern mit leeren Händen ihre Sünden darbringt: Weihnachten und gesegnet sein, das ist der höchste Lohn... Das Trio (Tassilo Kaiser/ Violine und Moderation, Marika Geijrot/Violoncello und Marbod Kaiser, wahlweise auf zwei Flügeln spielend) erwies sich im Verlauf seiner Darbietung ungeahnt steigerungsfähig: Klang das Auftaktsingen mit „Oh du fröhliche“ noch wie eine verdeckte Schubertiade im ostentativen Largo, so geriet Händels E-Dur-Sonate für Violine und basso continuo in toto gediegen wie Telemanns gleichnamige Schwester-Komposition e-Moll, eine „methodische Sonate“ mit eingetragenen Koloraturen – damit man über den Geschmack in der Musik nicht länger stritte. In Fichtenwalde wurde aus der „Methode“ Kunst, zumal der basso mit dem Piano doppelt gegeben wurde, ungewöhnlich. Gute Arbeit. Beethoven''s Opus 1 Nr. 1, bereits den „ganzen“ Komponisten enthaltend, war in einer schnittig-eleganten Intonation des 2. und 3. Satzes zu hören. In der Pause wurden Sekt und Häppchen gereicht, man unterhielt sich über Gott und die Welt – in Fichtenwalde. Das folgende Allegro con brio aus Schostakowitsch''s Klavier-Trio Nr. 2 op. 67, so heiter wie grimmig, war sicher der Höhepunkt dieses Abends. Wunderbar interpretiert, wie die lyrische Geige im Staccato Stalinscher Kritik letztlich wimmernd versank. Extra-Applaus. Frau Raatz vom Kunstverein gab dem Fichtenwalder Adventus auch diesmal ihre Weihnachtsgeschichte dazu: Eine anonyme Fabel, darin alle Tiere sinnieren, was das Wichtigste an diesem Feste sei: Nicht Schmuck oder Saufen, nicht Schlafen: „Das Kind“, so der Esel, der ja dabei war. Der Ochse darauf: „Ob das die Menschen auch wissen?“
Gerold Paul
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