KulTOUR: Ohne Licht keine Bewegung
„Whale Songs“ : Eine weitere Premiere von Comèdie Soleil in Werders neuem Theater
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Werder (Havel) - Die Stadt setzt großes Vertrauen in sie, so viele haben Starthilfe gegeben, nun geht es in Werders real existierenden Mitte Schlag auf Schlag: Nach der burlesken Shakespeare-Inszenierung von „Was Ihr wollt“ durch Regisseur und Theaterleiter Michael Klemm in der vergangenen Woche brachte die bienenfleißige Comédie Soleil jetzt mit C. Silbersteins „Whale Songs“ die nächste Premiere ans Licht, sogar als Uraufführung.
Tatsächlich interessiert sich der etwas schmuddelige Pro- oder Antagonist Lothar (Florian Wilke) anfangs für diese Erscheinung, er glaubt sogar, Einsteins Thesen stürzen zu können. Nachdem der bei Elly (Ingrid Metzner) Untervermietete das Grundprinzip „Ohne Licht keine Bewegung“ aus eigener Denkkraft gefunden hat, erprobt er es unter der Rubrik „Vergangenheitsbewältigung Ost-West“ sogleich an ihr, auch wenn sie es auf der schwarzen Off-Bühne gar nicht richtig merkte.
Das Kammerspiel ordnet sich gefällig in das Credo der Truppe „Für ein menschliches Theater“ ein. „Whale Songs“ ist ein junges Stück, sein Handlungsjahr 1995. Es wird versucht, die Trenn- und Vereinigungspunkte rund um deutsche Einheit nebst Stasi-Verstrickungen für den Zuschauer als eigentlich menschlich-zwischenmenschliche Fragen zu exemplifizieren: Der bis zum Schluss in Bademantel und Hosenträger agierende Sozialhilfeempfänger wird auf dem Besetzungszettel als „klassischer Sozialschmarotzer des Westens“ ausgewiesen, während das Outing von Elly eine ostdeutsch-stasiverstrickte Lebensgeschichte markiert.
Echte Wal-Gesänge aus der Konserve, dramaturgisch wie emotional viel zu wenig genutzt, sollen den Drang des Zueinanderfindens noch einmal auf „tierische Weise“ unterstreichen. Leider ist das szenische Denken des Autors zum Thema „20 Jahre Mauerfall“ so mager entwickelt wie seine Bühnenerfahrung: Dialogisches oder monologisches Reden à la Hörspiel, Teetrinken als Alibi für nicht handlungsbetonte Vorgänge, als Regie-Vorlage ein hier und da zu imaginierendes Fenster, mal offen, mal zu, mal egal, kein leichtes Brot für den Regisseur Michael Klemm.
Worum geht es? Aus nicht bewiesenen Gründen erzählt Vermieterin Elly dem emsigen Würstchenesser Lothar ihre Lebensgeschichte aus der DDR. Die Schauspielerin verliebte sich in einen Stasimann, er nutzte sie als IM aus, was zur Schassung eines Kollegen führte. Bald kehrte sich alles um, sie tat den Mund auf, wurde eingesperrt, ließ sich zur Meträsse einer höheren Charge machen, dann Abschiebung, wo sie der Zuschauer als Kaufhaus-Verkäuferin und erklärte Übeltäterin mutmaßen soll.
Michael Klemm entschied sich für ein Kammerspiel mit psychologischem Einschlag, sparsamster Ausstattung und szenischem Minimalismus bis zur Grenzwertigkeit, gut für inhaltliche Diskussionen. Die Geschichte ist spätestens dann im Heute angekommen, wenn Lothar den Stasi-Beau per Computer im gesamtdeutschen Innenmministerium, Abteilung Sicherheit, ausfindig macht und Fäden zieht, ihn der immer noch liebenden Elly zuzuführen, die darob erbleicht. Lothar versuchte, vom verwackelten Psycho-Wrack zum selbstbewußten Mann mit Humor (tat das gut!) zu reifen, von Ingrid Metzners Schauspielkünsten ist nichts Bemerkenswertes zu berichten. Mehr Licht innendrin zur Bewegung, mehr Kraft, mehr Humor, mehr Vertrauen, mehr Whale-Songs!
Gerold Paul
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