Potsdam-Mittelmark: „Oma hat gar nicht Recht“
Entgegen der gängigen Belehrung, dass man auf Friedhöfen leise sein muss, lernen Kinder auf dem Südwestkirchhof etwas anderes
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Stahnsdorf - Als sich der Ägyptologe Harteneck auf dem Stahnsdorfer Südwestkirchhof eine Gruft als letzte Ruhestätte bauen ließ, muss er an Kinder gedacht haben. Vermuten lässt dies weniger der Umstand, dass Kinder Gruften ohnehin spannend finden. Vielmehr legt die enge eiserne Treppe, auf der sich nur Kinder problemlos hinunter zu dem Sarkopharg schlängeln können, diesen Verdacht nahe. Der Begräbnistempel des Forschungsreisenden mit dem unterirdischen Verließ bildete den Abschluss der ersten Führung für Kinder über den Südwestkirchhof, zu der am vergangenen Samstag eingeladen worden war.
Um den Südwestkirchhof bekannt zu machen, hat der Förderverein in den vergangenen Jahren die weitläufige Anlage und parkähnliche Landschaft bereits mehrfach in eine Bühne verwandelt. Eine „Lange Nacht“, bei der Künstler an den Gräbern musizierten und schauspielerten, gilt bislang als Höhepunkt, um den Kirchhof auch als Ort der Kultur und Geschichte zu vermitteln. Nun sollen auch Kinder erfahren, dass Friedhöfe durchaus lebendige und lehrreiche Orte sind. Als „aufgeschlagenes Geschichtsbuch, durch das man laufen kann“, beschrieb Kichhofsverwalter Olaf Ihlefeldt den jungen Gästen seinen Arbeitsplatz.
An Grabsteinen, so animiert er sein junges Publikum, ließe sich viel über die hier Ruhenden, ihr Wirken und ihre Verdienste ablesen. Die Inschriften, Zeichen, Skulpturen und Symbole regen zur Fantasie an, wer und was die hier Begrabenen gewesen sind. So lässt die Ikarus-Figur am Grab von Edmund Rumpler die Kinder schnell erahnen, dass der Tote irgendetwas mit Fliegen zu tun gehabt haben muss. „Richtig“, bestätigt Ihlefeldt, „Rumpler hat dafür gesorgt, dass man heute fliegen kann.“
„Tod und Sterben sind in unserer Gesellschaft immer noch ein Tabu, gerade für Kinder“, bedauert Ihlefeldt. Dabei sollten Eltern früh beginnen, mit ihren Kindern darüber zu sprechen. „Kinder sollten bei Trauerfällen selbstverständlich einbezogen werden“, meint auch der Psychologe Günter Esser von der Uni Potsdam. „Geheimnistuerei macht die Sache nur noch schlimmer.“ Durch die Führungen auf dem Südwestkirchhof sollen die Kinder den Ort auf spielerische und spannende Weise entdecken. Sterben, Tod und Trauer werden oft als etwas Bedrückendes und Dunkles empfunden. „Doch Friedhöfe sind dazu da, dass man ein Stück Traurigkeit verliert“, meint Ihlefeldt. So erklärt er den Kindern, dass Mausoleen und Tempel hell, verziert und zuweilen bunt sind, weil „sie die Lebenden zum Reingehen animieren sollen“. Dass es in Kirchen meist etwas düster ist, sei als Symbol für den Weg vom Leben zum Tod zu verstehen. Aber wenn sich nach der Abschiednahme die Türen öffnen, tritt man hinaus ins Helle. Am Samstag wurde ausnahmsweise noch der Umweg über den Glockenturm der Stabholzkirche gemacht – ein Angebot, das es bei keiner Führung für Erwachsene gibt. Und weil die Kinder auch interessierte, was unter der Kirche ist, öffnete der Kirchhofsverwalter sogar die Kellerluke.
Nach der Hälfte der gut zweistündigen Führung hatte sich das bisherige Friedhofs-Bild des zehnjährigen Fritz“ völlig verändert. „Oma hat gar nicht Recht!,“ musste er feststellen. Es stimme nicht, dass man auf Friedhöfen leise sein muss. Immerhin hatte soeben der Kirchhofsverwalter persönlich erklärt, dass man sogar ein Picknick auf einer der vielen Wiesen oder Bänke machen darf. Und wenn das große Christusgrab, dass der Bildhauer Ludwig Manzel aus Marmor gefertigt hat, sogar als Bühne für Konzerte genutzt wird, muss es wohl stimmen, dass man nicht nur flüstern darf. „Wenn selbst Jesus nichts dagegen hat“, meinte eines der Kinder.
Wer aufgepasst hat, wird am Ende des Rundgangs erfahren haben, dass die griechischen Zeichen Alpha und Omega auf Grabsteinen für Anfang und Ende stehen. Dass sich auf jüdischen Gräbern statt Blumen oft Steine als Symbol der Ewigkeit finden. Und dass Friedhof nicht Friedhof heißt, weil es hier so friedlich, sondern weil es ein umfriedeter Hof ist.
Ab dem 26. Mai werden die Führungen durch die Mitmachausstellung „Vergissmeinnicht“ bereichert, welche aus dem Museum für Sepulkralkultur in Kassel stammt. Bei der Mitmachausstellung handelt es sich um eine didaktische Einheit zum Thema „Sterben und Tod, Bestatten, Trauern und Erinnern“ für Kinder und Jugendliche. Dadurch sollen Ängste abgebaut, Hilfen zur Krisenbewältigung angeboten und wichtige soziale Fähigkeiten erlernt werden.
Die Führungen werden auf Anfrage von Montag bis Sonntag für Kinder von 5 bis 12 Jahren veranstaltet. Interessierte können sich unter Telefon (0 33 29) 61 41 06 anmelden.
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