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KulTOUR: Ornamentale Erinnerungen an „V“ Willy-Brandt-Sohn liest im Huchel-Haus aus seiner Vater Biographie

Michendorf · Wilhelmshorst - Wäre Lars Brandts „Andenken“ (Hanser Verlag) an seinen Vater Willy eine politische Biographie wie die von Brigitte Seebacher-Brandt oder Peter Merseburger, hätten sich das Brandenburgische Literaturbüro und das Peter-Huchel-Haus kaum die Mühe machen müssen, den in Bonn lebenden Autor zu einer Lesung nach Wilhelmshorst zu bitten. So aber erfuhr das zahlreich erschienene Publikum jüngst aus erster Hand, was in keinem anderen Buch über den Regierenden Bürgermeister, Bundeskanzler und langdienenden SPD-Vorsitzenden steht.

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Michendorf · Wilhelmshorst - Wäre Lars Brandts „Andenken“ (Hanser Verlag) an seinen Vater Willy eine politische Biographie wie die von Brigitte Seebacher-Brandt oder Peter Merseburger, hätten sich das Brandenburgische Literaturbüro und das Peter-Huchel-Haus kaum die Mühe machen müssen, den in Bonn lebenden Autor zu einer Lesung nach Wilhelmshorst zu bitten. So aber erfuhr das zahlreich erschienene Publikum jüngst aus erster Hand, was in keinem anderen Buch über den Regierenden Bürgermeister, Bundeskanzler und langdienenden SPD-Vorsitzenden steht.

Lars Brandt, Filmemacher und Künstler von Beruf, beschreibt sein ganz persönliches Verhältnis zu seinem Erzeuger im Spannungsfeld von Macht und fragiler Persönlichkeit, von Schwächen und Stärken, Kongruenzen und Dissonanzen. Der studierte Soziologe, eines von vier Kindern der Ehe Willy und Ruth Brandts, nennt ihn dabei weder beim Namen, noch wird er je Vater geheißen, als Antagonist in eigener Sache ruft ihn der 1951 geborene Berliner nur „V“.

Ein „Übervater“ war Willy Brandt für ihn trotzdem nicht, es kam ja in Bonn eine Zeit, wo sich auch dieser Sohn von ihm lossagte und erst in dessen letzter Lebensphase wieder zu ihm fand. Aber die Erinnerungen an die „immaterielle Skulptur“ bleiben, an das gemeinsame Angeln, an den Umzug des berufenen Außenministers nach Bonn, an die schwachen Stunden des streitbaren Kanzlers daheim.

„Er gab, was er zu geben hatte, auf seine Art.“ Später half ihm der erklärte Individualist beim Schreiben von Reden und Dokumenten. Wie Günter Grass den Fortschritt mit einer Schnecke verglich, so Lars Brand seinen „V“ mit diesem Bild: „V“ habe zwar in seinem Schneckenhaus gelebt, aber „keine Schleimspur“ hinterlassen. Für die Seinen in der „braven SPD“ und mancherlei Volk war er „die Lokomotive ihrer Ambitionen“, von machtbewusster Wachheit, aber auch voller Hilflosigkeit.

„Er quälte sich in der Gesellschaft anderer Individuen“, so der Autor, und setzt aus vielen, nicht zueinander passenden Mosaiksteinen, eine faszinierende Prosa in „Ornamenten“ zusammen, bis er es findet: Ein „zerknittertes Bild, tastend angelegt“. Andenken formt sich aus Liebe, Respekt, Intimität und Distanz: An ein Staatsbankett, bei dem die unten Sitzenden wegen zu langer Servierwege nicht satt werden, an den glatten Nicolae Ceausescu, der seine exekutierten Eltern nur kurz überlebte, an die intime Rücktritts-Szene 1974 daheim, als Willy Brandt (der seine vier Kinder „faktisch enterbte“) wenig kämpferisch „ist ja doch alles egal“ flüsterte. Sogar seine „postsurrealistische Kochkünste“ am Fisch, um die ungeliebte Familie Wehner beim Norwegen-Urlaub zu bewirten, blieben unvergessen. Im Gegensatz zu jenen hatte sein Vater „gehobene Bürgerlichkeit nicht nötig“.

Lars Brandt hatte sein Leben lang weder Amt noch politische Ambitionen. Zum Staatsbegräbnis fliegt er nicht mit der bereitgestellten Sondermaschine, und das Bild, welches die offizielle Welt dort von ihm zeichnet, ist das seine nicht. Die Fotografen beim Angeln, damals, zeigten ihm, wie man so etwas manipuliert. Mit Brandts Tod 1992 „löste sich der Kontrakt seiner und meiner Welt auf“. Eine rein private Existenz gibt es für den Sohn seitdem trotzdem nicht, „sobald er ins Spiel kommt“: Er steigt nur ungern am Berliner Willy-Brandt-Platz aus, er hört „V''s“ Stimme auf historischen Dokumenten befremdet: „Ich denke nicht oft an ihn, aber manchmal schon.“

Gerold Paul

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