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Potsdam-Mittelmark: Papierenes Inferno

Beim Stahnsdorfer Künstlergespräch gesteht der Maler Reinhard Womacka, dass Kunst „eigentlich Betrug ist“.

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Beim Stahnsdorfer Künstlergespräch gesteht der Maler Reinhard Womacka, dass Kunst „eigentlich Betrug ist“. Stahnsdorf. Als keiner mehr mit ihm rechnete, kam der Künstler doch noch. Verlegen murmelte er schon an der Tür: „Hätte nicht gedacht, dass überhaupt einer kommt". Immerhin kamen zwölf kunstinteressierte Besucher zum Ausstellungsgespräch, das kürzlich im Stahnsdorfer Gemeindezentrum stattfand. Über den Künstler Reinhard Womacka hatte der Moderator des Abends, Eberhard Trodler vom Soziokulturellen Verein „Eins A", schon mal vorab verraten, der Maler habe sich sehnlichst gewünscht, dass seine Ausstellung noch am Eröffnungstag abgehangen werde. Doch so richtig provoziert fühlte sich wohl keiner – die Bilder blieben im Rahmen und mancher Betrachter davor eher ratlos zurück. Sehgewohnheiten ändern sich schnell, mindestens so schnell wie die Kunstprodukte. Auch Womackas Collage-Arbeiten ist anzusehen, wie rasch sie produziert wurden. „Was ich nicht in ein oder zwei Tagen schaffe, wird vernichtet, weil es mich sonst behindert. Ich muss im Fluß bleiben, beim Malen und beim Denken." Jährlich schaffe er so 200 Arbeiten. Die „eilige Kunst" ist Absicht und soll „Heftigkeit" kundtun. Abstrakter Expressionismus, Informel oder die Wilden? Das nicht klar Bestimmbare scheint Womacka zu genießen. Der 55-Jährige gibt vor, nicht für den Markt zu arbeiten. Deshalb brauche er auch kein Logo oder eine erkennbare Künstlerhandschrift. „Das wäre mir zu langweilig", erklärt er trotzig. Doch so richtig überzeugt das nicht, vor allem als er wenig später vom missglückten Versuch einer eigenen Galerie berichtet. Nach vier Ausstellungen habe er aufgegeben, weil „zwar viele die Bilder gesehen hatten, aber nichts verkauft wurde". Ein Stoßseufzer klingt da schon heraus. Und welchem Künstler ist der Wunsch fremd, „mal was zu machen, was noch keiner gemacht hat"? Also, doch die hochgeschätzte Tüte, in die eine Ware für den Markt getaucht werden muss? Klar wird jedenfalls an diesem Abend auch den Gästen: Kunst besteht zur Hälfte aus Absprache (mit Kunsthändlern) und die andere Hälfte ist Werbung. „Das ist aber eigentlich Betrug", weiß Womacka, auch weil er mal früher selber in der Werbung war. Vordem hatte er in Keramik gemacht, und davor war eine Zeit, „da habe ich lange nicht gewusst, was ich machen soll". Eigentlich wisse er das immer noch nicht, fügt er hinzu. Dem einst in Kleinmachnow wohnhaften Maler wurde schon als Schüler klar: „Ich habe eine Abneigung gegen Arbeiten, die nicht interessant sind". Einmal habe er in den Ferien im Geräte- und Reglerwerk Teltow sein Taschengeld aufbessern wollen. Sein Job: Viertelstündlich die Temperaturanzeige eines Gerätes notieren. Auch Gewindeschneiden lag ihm nicht so, jedes zweite Werkstück brach ab. Beeindruckt hat ihn hingegen sein Onkel Walter Womacka, „der war in der DDR eine große Nummer und es roch bei ihm immer so gut nach Ölfarben und Verdünnung". Gefallen hat ihm auch wie der Onkel Zitronen auf die Leinwand tupfte und im Hintergrund Musik lief. Bei Reinhard Womacka läuft meist der Fernseher, er arbeitet nächtens und die Nachrichten von draußen fließen drinnen aufs Papier. „Alles Betrug, alles korrupt", lautet Womackas Weltdiagnose. Um sich zu wehren, schneidet, klebt und übermalt er die Chiffren und Labyrinthe abermals bis sich die Versatzstücke zum papierenen Inferno mischen. „Ich lebe in einer Klapsmühle", sagt er lakonisch, so als habe die befürchtete Katastrophe längst stattgefunden, freilich fein dosiert. Womacka will keinen Spiegel vorhalten, er ist selber ratlos. Don Quichote rollt den Stein des Sisyphos über endlose Papierseiten. Kirsten Graulich

Kirsten Graulich

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