Potsdam-Mittelmark: Prinzen spielen laut Musik
Seit zwei Jahren proben in der Teltower Band „Artgerecht“ Menschen mit und ohne Behinderung
Stand:
Teltow - Der Proberaum ist eng und winzig, an dem warmen Frühlingsnachmittag ist es stickig hier unten. „Die Männer hier haben den ganzen Tag hart gearbeitet, deshalb riecht es auch ein wenig nach Schweiß“, erklärt Thomas Borchert. Jetzt aber haben Jonas Kasenboot, Holger Arnzen, Ronny Hinze und Ronald Gnedler Feierabend und treffen sich im Bandraum des Diakonissenhauses in Teltow zum Proben. Ihr Gitarrist, Karsten Maune, fehlt heute allerdings, er wird durch den Gruppenleiter und Initiator ihrer Band „Artgerecht“, Thomas Borchert, ersetzt – „eher schlecht als recht“, wie er sagt. Daneben begleiten auch noch die beiden Sozialarbeiter Matthias Molkentin und Marco Focke das Bandprojekt.
Mit „Aloha Hey“ spielen sich die Musiker warm, auf Wunsch von Ronny, der daran zu Hause besonders gefeilt hat. „Joachim fuhr nach Dänemark, ein Schiff zu bauen war sein Ziel, am Anfang glaubte keiner daran, doch wie immer stört es ihn nicht viel“, so lautet die erste Strophe. Der Text beschreibt auch ein wenig den Hintergrund von „Artgerecht“. Denn viele „Normale“ mögen vielleicht auch nicht geglaubt haben, wie gut Ronny, Holger, Karsten, Jonas und Ronald zusammen spielen. Sie alle haben eine Lernbehinderung in der ein oder anderen Form. Und alle fünf arbeiten auf dem Gelände des Diakonissenhauses Berlin-Teltow-Lehnin. Thomas Borchert, Marco Focke und Matthias Molkentin sind als Gruppenleiter beim Diakonissenhaus beschäftigt und unterstützen die Band – musikalisch, aber auch pädagogisch. „Wir wollen aber keine „Behinderten-Band“ sein, sondern haben schon den Anspruch, gute Musik zu machen“, erklärt Borchert.
Den nächsten Song hat er geschrieben, „Dein Prinz“ heißt er. Doch Borchert unterbricht nach einigen Takten, etwas klingt falsch: Ronald, der Sänger verschluckt die Endungen der Worte zu sehr. Das Thema hatten sie schon öfter, aber er arbeitet daran, sagt Ronald.
„Darum geht es bei „Artgerecht“, so zu üben, dass wir jedem gerecht werden.“ Wenn etwas nicht klappt, trägt die Gruppe das eben mit. Zufriedenstellend sei das dann noch nicht, sagt Molkentin, der den Jungs auch etwas abverlangt. „Gelingt etwas auf Anhieb, schrauben wir an dieser Stelle auch den Anspruch hoch.“ Von falsch verstandener Nachsicht gegenüber den Jungs hält Molkentin nichts, er fordert sie und manchmal zieht er sie auch auf: „Das wollte ich dir schon lange mal sagen, dass du uns hier den ganzen Platz wegnimmst“, neckt er Ronald, der muss lachen. Der Grund: Ronalds Notenständer ist ein wenig größer als die der anderen, auch die Texte, die er singt, sind in größerer Schrift gedruckt. Nur so kann er sie lesen, trotz Brille. Um das Proben zu erleichtern spielen die Bandmitglieder auch nicht nach Noten, sie behelfen sich mit Buchstaben, um sich die Akkordfolgen merken zu können.
Mit Instrumenten ist die Band gut ausgestattet, nach und nach hat der kirchliche Träger des Diakonissenhauses das Equipment angeschafft. „Derzeit sind wir wunschlos glücklich“, sagt Jonas, der Schlagzeuger. Auch bei den Arbeitszeiten wird Rücksicht genommen, etwa dann, wenn die Musiker von „Artgerecht“ einen Auftritt haben. „Da werden wir auch mal eine Woche freigestellt“, sagt Ronald. Im vergangenen Jahr haben sie 15 Konzerte gespielt, unter anderem auf dem Luisenplatz in Potsdam bei einer Aktion gegen Sozialabbau. Der schönste Auftritt aber war am 2. Juni beim Toleranzfest in Beelitz. „Davor haben wir gemeinsam das WM-Spiel Deutschland gegen Argentinien angesehen, das 4:0 hat uns beflügelt“, erzählt Ronald und strahlt bei der Erinnerung daran.
Auch für dieses Jahr gibt es schon zahlreiche Anfragen. „Unser Problem ist aber, dass wir oft zu reinen Behindertenveranstaltungen eingeladen werden“, sagt Borchert. Die Musiker wollen aber auch auf ganz normalen Events spielen, bei „Rock gegen Rechts“ in Potsdam etwa. Auf jeden Fall werden sie auch in diesem Jahr wieder bei „Rock am Wasserturm“ auf Hermannswerder dabei sein. Auf dem Festival treten bereits seit zehn Jahren „normale“ und Musiker mit Beeinträchtigung gemeinsam auf. Kleine Details wie barrierefreie Toiletten oder Strohhalme an der Bar machen das Festival auch für Rockmusik-Fans mit Behinderung zugänglich.
Nach zwei Stunden Proben sind an diesem Montag aber erst mal alle müde, um 6.30 Uhr morgens hat ihr Arbeitstag in den Werkstätten begonnen. Holger, der Keyboarder, will nach Hause zu seiner Freundin. Wie die meisten aus der Band hat er eine eigene Wohnung. Ein letztes Lied spielen sie noch, ihr aktuelles Lieblingsstück: „Laut Musik“, ein schneller, trotziger Rocksong über Wut, Frust und die heilende Kraft von lauter Musik.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: